Der Streit zwischen Fleischessern und Gutmenschen, die nur Grünzeug kleinhacken, interessiert mich immer weniger. Stattdessen bin ich, wie so oft, nun auch hier, auf Umdeutung von Sachverhalten aus, die uns allzu selbstverständlich erscheinen.

In Coppolas Apocalypse now bestellt ein Offizier im Vietnamkrieg sein Steak betont «bluuutig». Bei einem solchen Stück Fleisch können wir uns diese Klarheit leisten. Blut bereitet uns ansonst eher Probleme. Aber das Steak stellt ja nur eine Abstraktion von Leben dar. Nichts daran erinnert uns an das Tier, von dem es stammt. Das gilt für alle Fleischstücke. Ganz besonders Würste weisen einen hohen  Abstraktionsgrad auf, wenn man bedenkt, wieviel Konkretes darin verwurstet ist, wie etwa Augen oder Schwänze. Zunge hingegen schafft es in beachtlicher Konkretheit bis in die Küche, wenn sie geschält, aber als Ganzes im Topf kocht. Ihre Form ist doch sehr konkret. In der Regel wird Zunge zerschnitten serviert.

Im Übrigen ist das blutige Steak totes Gewebe. Genau genommen verzehren wir Leichenteile.

Vielleicht helfen wir uns über diese schwer erträgliche Deutlichkeit hinweg, indem wir Fleisch eben abstrahieren. Durch Kleinschneiden und Kochen. Der rohe Verzehr würde den Unterschied zum Tier verwischen, der uns seit je am Herzen liegt. Niemand würde es wagen, seine Eckzähne in Muskelgewebe zu versenken. Besonders dann nicht, wenn es noch lebt und zuckt. In der Natur kommt es vor, dass Jäger aus bestialischem Hunger bereits an ihrer Beute zu kauen beginnen, noch bevor sie sich ausgehaucht hat.

Vor Jahren wohnte ich einem katholischen Ritus bei, der vorkonziliär ablief, also auf Latein, wobei der Priester die Wandlung von den Gläubigen abgewandt am Hochaltar vollzog. Da stellte ich fest, dass er einschlägige Passagen der Wandlung im Stillen hersagte, während er Kelch und Schale mit Brot emporhob. Warum einschlägig? Nachkonziliäre Kirchengänger haben diese Passagen im Ohr, da sie der Priester seit damals laut zelebriert. Nämlich: «Dies ist mein Leib, nehmt und esst davon. Dies ist mein Blut, nehmt und trinkt davon.» Leider fehlt mir die theologische Kenntnis, warum dieser Passus den Gläubigen während der vergangenen Jahrtausende vorenthalten blieb. Man hielt ihn wohl erst für ein aufgeklärtes Publikum zumutbar, die wir heute sogar überhören, dass hier von Menschenfresserei die Rede ist. Vorausgesetzt freilich, dass sich die Menschwerdung Gottes tatsächlich mit Haut und Haar vollzogen hat. Natürlich heisst es, mit Leib und Blut Jesu sei die Kirche als Gesamtheit gemeint. Ein Symbolismus, der mir weichgespült vorkommt. Denn der Altar der Kirche, der das Opfer emporhebt, also das Angebot des Sterblichen an die göttliche Übermacht, weist eine Geschichte auf, die durch ganze Zeitalter hindurch bis zur Schlachtung von Tieren und Menschen zurückreicht. Der Tisch bräuchte eine Rinne, damit Opferblut abfliesst. Ganz früher war es ein hochgeschichteter Scheiterhaufen zur Einäscherung des Ganzopfers, des Holocaust. Kannibalismus gehört zu tiefsitzenden Tabus der Menschheit überhaupt. Auch dieses Fleisch würde uns sehr wohl ernähren. Da wir aber seit Urgedenken nur als Gruppe überleben, steht ausser Frage, dass wir uns gegenseitig aufessen. Es sei denn, wir leiden äusserste Not, wie auf Uruguaya-Flug 571. Bekannt ist auch das Beispiel eines einzelnen Gorilla-Männchens, das in einem jähen Anfall einem Jungen den Kopf abreisst und das Rückenmark anfrisst. Nachträglich hat sich herausgestellt, dass das Tier Eiweissmangel litt.

Wozu eigentlich dieses Gewese darum, ob man überhaupt Fleisch essen soll, und wenn ja, dann welches Fleisch und welches sicher nicht, wenn wir doch jede Nahrung in Form der Verdauung so weit wie nötig in ihre Kleinstteile zerlegen, um diese dann als körpereigene Bausteine zu verwenden?

Jede Ernährung ist gewalttätig. Die Zerlegung beginnt mit dem ersten Bissen.

Da mögen die Vegetarier noch so bewusst ihren Rüben die Haut abschälen und sie zerstückeln. Damit der Zusammenhang von Ernährung und Gewalt in Erinnerung kommt, lässt der Filmemacher Peter Greenaway einen Schutzgelderpresser mit Bande in einem Gourmetrestaurant sein Unwesen treiben. Thematisch ist es nur folgerichtig und keineswegs abartig, wenn der Bösewicht anlässlich einer wütenden Raserei einer seiner Gespielinnen seine Essgabel in die Wange rammt. Am Schluss wird er zur Strafe genötigt, in mehreren Gängen vom Leichnam seines Gegenspielers zu speisen, den er zuvor brutal meucheln liess.

Die Natur hat diese Gewalttätigkeit eingerichtet. Fressen bedeutet dort aber nicht nur Ernährung, sondern die Regulierung von Populationen, die zusammen ein Biotop bewohnen: Korallen zum Beispiel ernähren sich von einzelligen Algen, mit denen sie symbiotisch verbunden sind, diese werden von kleinen Fischen abgegrast, sodass sie die Riffs nicht überwuchern. Solche niedlichen Weidegänger, wie David Attenborough sie nennt, fallen wiederum grösseren Räubern zum Opfer, die ihrerseits einer Regulierung unterliegen, wenn die Haie nachts das Riff durchkämmen. Alles soll bestehen, nichts soll Überhand nehmen. Das Mittel bei diesen Säuberungen, die pfleglich ablaufen, also mässig und keineswegs radikal, heisst: Fressen. Sprich töten. Mit Gewalt.

Verzehr von Leben also nicht nur zur Selbsterhaltung, sondern auch als Pflege des gemeinsamen Lebensraums.

Von heutigen Produktionen an Tierfilmen bin ich neuerdings ziemlich angefressen, etwa von den Dokumentationen des oben erwähnten David Attenborough. Bei diesem Dauerfressen rund um den Erdball zeigen die Tiere keinerlei Hass oder Aggression. Man sieht, wie Lebensformen alles Erdenkliche unternehmen, damit ihre Flucht vor Jägern gelingt. Eine Krake verlässt sogar ihr angestammtes Element, das Wasser. Je nach dem ergeben sich die Opfer, die ihrerseits Fresser waren, mit Gleichmut ihrer Vernichtung. Auch die Jäger strahlen eben diesen Gleichmut in ihren Augen aus, wenn sie die Beute erhaschen. Dennoch kommt es zu äusserster Brutalität. Von Gnade keine Spur. Die Zerlegung in Bestandteile muss zügig vonstattengehen.

Dieser Gleichmut heisst: In sich ruhen.

Das gilt auch für das Leben an sich. Wenn Organismen sich verschlingen, bedient sich das Leben bei sich selbst. Und keine Energie geht verloren. Auch hier erfolgt eine geschickte Umverteilung fester Energiebestände.

Das wäre dann eine Art Autokannibalismus. Allerdings nicht symbolisch weichgespült wie bei der Körperkirche Jesu.

Dieser Selbstverzehr wäre sogar buchstäblich gemeint.

Sprich blutig.