Wenn ich Grundschülern ein Verfahren zur Problemlösung erkläre, gibt es Kinder, die das Ganze begreifen, noch bevor ich zu Ende geredet habe. Das passiert einfach so.

Andere Kinder hadern damit, bis der Groschen fällt, während ein paar, wiederum wenige, am Berg stehen bleiben und zu Boden blicken. Für mich bleibt, selbst nach über zwanzig Jahren, die Unsicherheit, ob meine Erklärungsfertigkeit zur Einsicht führt oder die Natur der Kinder. Beides, höre ich aus den Büros der Bildungspolitik. Schön gesagt, aber niemand hat im Einzelfall eine Bestätigung dafür, ob die Methode oder die Natur des Kindes sein Verstehen ursächlich hervorruft. Auch wenn Naturwissenschaftler ihre Daten begutachten, streichen sie Ausreisser in der Annahme, es liege an einem Gerätefehler, schliesslich mache die Natur keine Sprünge. Aber das bekommen sie im Einzelfall nicht bestätigt.

Sie nehmen es einfach an.

Wenn ich die Kinder erlebe, wie sie lernen, wie sie sich entwickeln, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Natur Sprünge macht.

Als Lehrkraft werde ich einfach das Gefühl nicht los, dass hier etwas abläuft, bei dem wir nur so tun, als wirkten wir fördernd darauf ein. Zum Beispiel zeige ich die Schritte vor, die nötig sind, um Proportionsrechnungen zu lösen: Tabelle anlegen mit bekanntem Datenpaar und den gesuchten Werten, zwischen denen gemeinsame Teiler herauszufinden sind, damit man die Passzahl ermittelt und so fort. Der Moment, wo die Methode auf den Punkt kommt, indem eine Denkfigur sich schliesst, indem sie einen fertigen Algorithmus ergibt, würde man heute sagen, dieser Augenblick sollte bei den Kindern ein Aha-Verhalten auslösen.

Meistens jedoch horche ich in ein Nichts.

Die Gesichter bleiben gleich im Ausdruck. Selten kommt Bewegung auf. Nur eine Minderheit nickt oder hebt die Brauen.

Das Verstehen kann sich nur selbst vollziehen.

Einfach so.

Ein Chirurg transplantiert ein Herz, er legt die Leitungen richtig, vernäht sie sauber, alles zirkuliert wie gewünscht, das fremde Organ hat Körpertemperatur erlangt. Nun bleibt der mehrfach ausgezeichneten Fachkraft weiter nichts, als die Hände in den Schoss zu legen. Auch sie horcht in ein Nichts. Sie wartet einfach, bis das Herz zu schlagen anfängt.

Und wenn, dann geschieht das einfach so. Ohne menschliches Dazutun.

Ich erinnere mich an ein kleines Fischherz, das in einer Schale lag, kurz nach Tötung und Ausweidung des Tieres. Der Klumpen Fleisch verkrampfte sich immer wieder, mit Abständen der Ruhe. Es sah aus, als zöge sich ein kleiner Kopf immer wieder einen Pullover über. Das Gewebe war an keiner Energiequelle angeschlossen. Es pumpte aus sich heraus.

Einfach so.

Die Bemühungen, ein Kleinkind vorzeitig zum Reden zu bringen, indem man ihm Worthappen vorkaut, fruchten nie, solange die Natur nicht dazu bereit ist. Irgendwann wird es damit beginnen.

Einfach so.

Es gehört zu den Grundsätzen einer Montessori-Pädagogik, dass man zum Erlenen der Kulturtechniken Rechnen, Schreiben und Lesen sechs Jahre als Zeitfenster veranschlagt und nicht nur eines. Genau in der Art, wie wir ein bestimmtes Zeitfenster anerkennen, wenn das Kind zu reden anfängt oder seine Zähne bekommt. Denn auch die Zähne kommen von allein. Niemand zieht daran. Ebenso wissen alle, dass man Geburten nicht beschleunigen kann, es sei denn auf toxischem Weg.

Die vielen Formen von Management, die man derzeit in der Gesellschaft querbeet befolgt, halten ausgeklammert, was die Natur zu allem Gelingen beiträgt. Oder zum Misslingen. Ein Meilensteinplan sieht im Rückblick meistens anders aus. Das Gebläff eines Projektleiters, wenn er vorsätzlich zu toller Laune anstiftet, etwa indem er zum so genannten Kickoff die Korken vorzeitig knallen lässt, überspielt in seiner antrainierten Selbstsicherheit die Tücken der Natur, wenn Missverständnisse unerkannt wirken, wenn Ressentiments eine Zusammenarbeit blockieren oder fremdstrategische Heimlichkeiten die Steuerung untergraben. Die Hektik eines Scrum-Managements, wo man sich stündlich mit allen Beteiligten neu abgleicht, verrät eine demütige Rücksicht auf diese gemischten Launen menschlicher Natur.

Die in dieser Art eben auf diesem Planeten vorkommt.

Und das einfach so.