Bastl

Auch das Vereinsleben hat sein Sterben. Sonst wäre es keines. Eine geheime Trauer liegt über dem Land. Dieser Nebel jedoch dünnt aus, denn die Trauernden sterben weg.In einem ländlichen Dorf nahe der Landesgrenze warte ich auf den Bus. Vor mir im Wartehäuschen der Gegenseite sind Schaukästen zum Aushängen der Informationen hiesiger Vereine angebracht: Jugendriege, Turnverein, Fasnachtsmusik, Fussballclub. Ausser bei den Landfrauen sind alle Kästen leer. Oder beinahe leer. Beim näheren Hinsehen entdeckt man höchstens amtliche Mitteilungen, in Form eines Wischs und mit abgelaufenem Datum.

Ich geniesse das Glück, das Vereinsleben von früher noch zu kennen. Als Dorfschullehrer nahm ich an einer Fahnenweihe der Männerchöre teil. Jede Fahne begrüsste den Neuling in einer Art Knutschen. Wie ein Küssen, einmal links, einmal rechts. Auch die Feuerwehr kam wie ein Verein daher, bei Wurst und Bier im Anschluss an die Übungen. Es gab sogar einen  Feuerwehrclub. Ein Säuferverein, gegründet von einer Handvoll Dorfjugendlicher, denen der Beitritt zur Feuerwehr altershalber noch verwehrt blieb. Jedes Jahr im Mai zogen sie mit Ross und Wagen durch den Blust. Beim Samichlaus sassen sie um einen Tisch, verzehrten Nüsse und warfen sich die Schalen an den Kopf.

Dieses Gejohle ist längst verhallt. Heute verstellen billige Villen den Ort. Wer da wohnt, kennt das Vereinsleben nicht.

Auch in der Stadt Zug soll es ganz ausgestorben sein. Der Grund: Gentrifizierung. Eine mit Kapital überdüngte Zone verdrängt Familien, die seit Generationen dort ansässig waren.

Wie jedes Sterben, so hat auch das Vereinsleben seinen Todeskampf. Mein Vater war Logenbruder. Bei der Aufnahme von Neumitgliedern befolgten sie dort die klösterliche Regel, nach der ein Antrag für abgelehnt gilt, sobald eine schwarze Kugel eingeworfen wurde. In einem Fall legte mein Vater Schwarz ein. Dennoch wurde der Kandidat als einstimmig gewählt ausgerufen. Mein Vater forderte Rechenschaft. Es hiess, man müsse heutzutage grosszügig sein. Schliesslich ginge es um den Fortbestand der Loge. Daraufhin erklärte mein Vater seinen Austritt.

Ein Freund von mir trug seit seiner frühen Jugend in Sachen Vereinsleben ein Trauma mit sich. Der Ausdruck Todeskampf findet hier doppelt Anwendung. Es war die Jagd. Auf diesem Gebiet zeigten sich frühzeitig erste Verfallserscheinungen, unter anderem in Form zunehmender öffentlicher Ächtung bei gleichzeitig schrumpfendem Nachwuchs. Mein Freund schätzte dieses Vereinsleben sehr. Als Hochsensibler fühlte er sich von jeder Etikette entlastet, die regelt, wie man miteinander verkehren soll. Hingerissen von seiner frischen Begeisterung, ja regelrecht betäubt von der Gewissheit auf Verjüngung des Vereins liessen ihn die Herren ein Reh schiessen. Doch der Junge traf schlecht. Das Tier zappelte sich tot, immer wieder schnappte es nach Atem.

Tagelang soll der Junge geheult haben. Da zeigt sich einmal mehr, was Todesangst unter Menschen anrichtet.

Und sei es auch nur als Sorge um Weiterbestehen eines bestimmten Gemeinwesens.

Aber vielleicht dreht sich alles, was uns derart am Herzen liegt, um genau das.