Erlösung

Religionen verheissen Erlösung. Ein Heiland bringt alles in Ordnung. Oder wir geniessen das Angesicht Gottes für immer. Oder wohliges Nichts. Für immer. Auf welche Erlösung aber dürfen Ungläubige hoffen, die sich zu keiner Religion bekennen?

Die Antwort wäre naheliegend: Es ist einfach der Tod, der uns aus irdischer Verstrickung löst. Es gibt uns dann schlicht nicht mehr. Eine Erlösung, die totaler wäre als das, lässt sich kaum vorstellen. Einerseits beruhigt mich die Tatsache, dass es mich über zig Jahrtausende bis zu meiner Zeugung nie gab. Denn offensichtlich konnte ich damit umgehen. Ich bin ein alter Hase darin, nicht zu existieren. Es ist auch sehr einfach. Von unserem Leben her sind wir es gewohnt, dass wir prüfen, ob etwas da ist oder nicht. Wir schauen nach, fragen nach, zeigen darauf. Lösen wir uns auf, sind wir auch nicht mehr in der Lage, zu prüfen, ob es uns gibt oder nicht. Im Nirvana könnte es nicht behaglicher sein.

Eigentlich müsste uns diese Aussicht zusagen. Die meisten jedoch hoffen, dass es schön weiter geht. Ungläubige legen sich da ungern fest, was die Umstände eines stetigen Fortlebens anbelangt. Irgendwie wird man halt weiter existieren. Die Annahme stimmt sie froh, wir seien immer gewesen und würden unbegrenzt fortbestehen. Mir bereitet diese Annahme allerdings genauso Beklemmung wie das Gefühl, das mich beim Gedanken meiner Auflösung befällt. Immer gewesen sein? Immer fortbestehen? Das kann ich mir nur dann vorstellen, wenn wir Schlafzyklen in kosmischen Tiefen durchlaufen, die Jahrhunderte dauern. Tiefgestapelt in galaktischen Sümpfen geborgen. Beides, Endlichkeit wie Unendlichkeit, überfordert mein alltägliches Wohlbefinden. Eigentlich seltsam. Der eine Pol müsste doch begeistern, wenn der andere abschreckt.

Aber die Aussicht auf restlose Auflösung missfällt den meisten beträchtlich, gerade wenn sie keiner Religion anhängen. Daher sind sie an einer Erlösung interessiert, die vor dem Tod eintritt. Diese ist aber kaum zu haben, solange das Ende aller Enden die Gemüter derart belastet. Wir meinen, es gehe bei dieser Erlösung um persönliches Glück: Familie, Wohlstand, Karriere, Selbstverwirklichung. Aber darin irrt man sich gewaltig. Denn in all diesen Belangen kommt es zu Verpflichtungen, die je nach Fall zu hohen Belastungen auswachsen. Erlösung sieht anders aus. Auch Ruhm wird oft mit Glück verwechselt, mit Erlösung. Die Liste Prominenter ist lang, die an einer ungeahnten Sehnsucht verzweifelten.

Erlösung vor dem Tod findet sich anders. Leider ist sie kein Medikament zum Schlucken, immerhin aber eine Methode, jedoch eine gedankliche, die auch erlitten sein will, damit sie wirkt. Diese Erlösung beginnt, sobald ich Abstand zu mir selbst gewinne. So überblicke ich die sachlichen und zwischenmenschlichen Verstrickungen, in die ich eingebunden bin. Psychische Gebrechen bieten hier ein handliches Beispiel. Wer aber einen klinischen Blick auf sich selbst erlangt, durch Analyse, durch Therapie, sodass er seine bipolare Störung, seine multiple Persönlichkeit, seine schwerstdepressive Eigenart zu begreifen bekommt, fühlt sich deshalb wohl kaum erlöst. Eher findet er mühselig zu einer Gewohnheit, wie er sich damit abfinden kann.

Wirkliche Erlösung aber geschieht erst dann, wenn ich meine persönliche Eigenart mit all ihren sonderbaren Eigenschaften als eine Laune des Lebens begreife, die für sich besehen allgemein ist und demnach unpersönlich.

All die Dinge, die wir so persönlich finden und intim handhaben. Alles, was mit Stoffwechsel und Fortpflanzung zu tun hat, mit sozialen Empfindlichkeiten und dem schwierigen Unterfangen, dass wir daraus eine persönliche Identität schustern, die auch Anschluss an andere Menschen zusichert.

Und dass wir unsere Sache dennoch sehr persönlich nehmen, liegt vermutlich an einem Trick des Lebens. Wir verkörpern eine Lebensform, die von Natur aus mit überschüssiger Intelligenz ausgestattet ist. Überschüssig deshalb, da blosses Existieren kraft der Instinkte ausreichend garantiert wäre. Diese Intelligenz befähigt darüberhinaus zur Selbstwahrnahme. Eine Fähigkeit, die das blosse Überleben eher behindert. Diese Lebensform wird so jedoch in die Lage gebracht, dass sie ganz besonders auf sich selbst Acht gibt. Das geschieht unweigerlich, da wir uns kraft dieser Intelligenz ohne Unterlass in unserer Umwelt gespiegelt sehen. Alles wird zu einer Botschaft über uns selbst und über andere in enger Wechselwirkung.

Und indem wir diese Selbstsorge leisten, kümmern wir uns notwendig und ebenso gewissenhaft um das Leben überhaupt.

Als scheint das Leben zu sagen: Nichts an dir ist persönlich gemeint. Besser für mich aber, wenn du es persönlich nimmst.

So einfach wäre das.