Bastl

Endlich habe ich dem Drang nachgegeben, dass ich mir einen beliebigen Actionfilm anschaue. Besser zwei. Man ruft die Seite auf, die das ab der Stange feilbietet, und tippt irgendwohin. Das Ergebnis: Ich bin schlicht entzückt.
Da wird munter geballert, wobei Einschüsse zu hören sind, die sich an Wirklichkeitsgetreue überbieten. Als hätte man sie auf tote Schweine abgefeuert und fein säuberlich aufgenommen. Auch Faustschläge knallen auf Kiefer und gehen in Nacken, sodass es dumpf klatscht. Messer fliegen und Zähne, in Zeitlupe aus dem blutenden Mund gespuckt. Da wird halb Florenz kaputt gerast. Auf Verfolgungsjagden geraten Passanten unter die Räder und Bösewichte zwischen die Autos, die sie zerquetschen. Auch verrückte Einfälle halten mich munter, wie etwa die Idee, ein Diktator könnte seine Jacht als riesigen Magnet gebaut haben, der auf Knopfdruck seine Verfolger mattsetzt. Nun gerät er selbst in dessen Sog. Die Dialoge sind perfekt ineinander verzahnt. Ein Schlagwort jagt das andere. Die Bilder in Zeitlupe, mit stampfender Rockmusik unterlegt, wirken betörend.

Actionfilme waren zu meiner Zeit verpönt. Nur rohe Leute finden Gewalt amüsant, so die Meinung damals. Es gäbe so viel Leid infolge Gewalt, daran vergnügt man sich nicht. Das stimmt mich jetzt betroffen. Soll ich meine späte Freude in Zweifel ziehen? Das widerstrebt mir.

Die Argumente laufen immer gleich: Auch Disneys Zeichentrickfilme sind mit äusserster Brutalität durchsetzt. Und wie war das mit den Grimm-Märchen? Wer also findet, ein Tom und Jerry seien annehmbar, ebenso eine Geschichte von Hänsel und Gretel, die eine alte Frau verbrennen, muss überzeugend darlegen, was diese Brutalität von den schlagkräftigen Orgien gewisser Actionfilme unterscheidet. Denn das meiste, was da erzählt wird, erfolgt wie bei Hänsel und Gretel aus Sicht einer Verteidigung, bei der fragwürdige Vorgehensweisen zum Vorneherein genehmigt sind.

Leider kam mir nie in den Sinn, es könnte um Schmerzen gehen oder um Familien, die ihren Türsteher-Vater oder Bodyguard-Papa betrauern, der so nebenbei erledigt wird. Das Ganze habe ich zwar als Geschichte vergnüglicher Übertreibungen gelesen. Die Handlung durchschaute ich nur bedingt, ich fand es stellenweise zu anstrengend. Dafür genoss ich den Konsum als eine Art Ganzkörpermassage. Es war für mich eher eine Dusche für mein Gehirn.

Eine Kopfdusche.

Wobei es regelmässig in der Brust wummerte und gelegentlich zum Zwerchfell ausstrahlte. Bis zum Becken reichte es zwar nicht, das erledigt der Techno in Clubs. Aber man geniesst beim Schauen solcher Filme eine endlose Reihe an kleinsten Entladungen. Etwa dann, wenn der Ladehebel zurückrattert, der Verschluss nach vorne schiesst und das Seriefeuer auslöst. Wenn Granaten dumpf einschlagen. Wenn der Schalldämpfer ploppt. Wenn Glasfassaden bersten, wenn Flammen an der Mündung züngeln. Als würde, in gewisser Weise, der ganze Körper massiert. Einfach gesagt findet ein Abbau von Erregung statt. Und das erfüllt genau die Aufgabe der so genannten Katharsis, die Aristoteles gewöhnlichen Menschen zuspricht, wenn sie sich Bühnenwerke zu Gemüte führen. Das Geschehen soll ihnen Gelegenheit bieten, ersatzweise Gefühle auszuleben, die im Alltag Probleme bereiten würden. Zum Beispiel die Befriedigung von Rache oder die Genugtuung, wenn jemand der Gerechtigkeit zugeführt wird. Die Bühnenkunst soll eine «Reinigung von Affekten bewerkstelligen» [6.1449b26].

Also auch feinste Aggressionen, die sich gegen Niemanden richten. Man rufe das Kind beim Namen: Es geht beim Genuss von Actionfilmen um Dampfablassen. Schadlos für andere, schön begrenzt auf den Sofabereich, Bierdosen und Schälchen mit Knabberzeugs in Reichweite. Man benimmt sich friedfertig, sprich sozial kompetent.

Michel Foucault würde diesen Genuss als eine ganz bestimmte Sorge um sich selbst erachten. Als eine Pflege seiner selbst.

Als eine Kunst des persönlichen Lebens, wohlgemerkt.

Das hat einen anarchischen Zug, zumal es ausschliesslich darum geht, dass man sich selbst bestimmt. Das setzt tatsächlich einen Freiraum voraus, in dem Moral nichts zu suchen hat. Eben genau wie bei den Disney-Produktionen, was niemanden sonderlich aufregt.

Aber immer noch wird die besorgte Frage laut, warum man überhaupt Aggression hinnimmt, die auf diese Weise weichgespült werden soll. Das klingt naiv vor dem Leben. Oder verletzt von zu viel Gewalt. Das ist zu respektieren. Trotzdem haben diese Bedenken auch damit zu tun, dass wir bei aller Vernünftelei den Affen in uns verleugnen.

Den natürlichen Gefühlsmenschen.

Keine Sorge, er ist kein Ahne von uns. Aber immerhin ein Verwandter.

Und ich glaube, dass der Affe in uns weniger Unheil unter Menschen stiftet als Berechnung und Vernünftelei.