Wie manche Schweizer befällt mich Stirnrunzeln, wenn von Demokratiemüdigkeit die Rede ist. Offensichtlich tut es einmal mehr not, dass man sich für diese Art von Gemeinwesen ins Zeug legt.

Wer Betrug wittert, wenn die Mehrheit bestimmt, was läuft, sollte sich vor Augen führen, wie es wäre, wenn eine Minderheit ihn entmündigte. Denn das wäre Diktatur. Zu ihr gehört wesentlich, dass die Minderheit die Mehrheit bestimmt. Eine Diktatur läuft nach ähnlichem Muster ab: Meistens herrschen chaotische Zustände, sodass eine Mehrheit es will oder zulässt, dass eine Minderheit das Heft in die Hand nimmt. Die Zeit drängt, Debatten unter Parteien und sonstigen Interessensgruppen verlängern nur die Unordnung. Sie tragen sogar dazu bei, wie manche meinen, die wenig von Meinungsvielfalt halten. Das mag auch daran liegen, dass gesellschaftliche Unordnung ihnen mehr Angst bereitet als anderen. Sehr oft sind es Zufälle, die eine solche Minderheit an die Schalthebel einer ganzen Gesellschaft schwemmen. Dort fällt sie rasche Entscheide, befiehlt ihre rasche Umsetzung und fällt rasche Urteile, wo immer die Umsetzung verzögert oder unsauber gehandhabt wird. Denn vom ersten Moment an schafft sich die bestimmende Minderheit Feinde im Volk, diese nehmen zu, sodass die Diktatoren nur noch damit beschäftigt sind, dass sie auf ihrem Posten überleben. Je nach dem führt das Ganze zu einer breiten Auflehnung, was dann wieder Unordnung zur Folge hat.

Meinetwegen erklärt sich Demokratie als Diktatur der Mehrheit. Der Vorteil, wenn die Mehrheit bestimmt, liegt darin, dass man sich unmöglich gegen sie auflehnt. Das wäre nur schon ökonomischer Unsinn. Bei einer Minderheit sieht das anders aus. Notfalls kann man sie verhaften und vor Gericht stellen. Eine Mehrheit zu verurteilen würde die nötigen Ämter überlasten. Die Amerikaner versprachen 1945, Deutschland vollständig zu entnazifizieren, sie waren klarerweise aber nicht in der Lage, ein ganzes Volk in Haft zu nehmen und abzuurteilen.

Die Stärke der Mehrheit liegt aber nicht nur in der überwiegenden Kopfzahl. Ihr schlagender Vorteil besteht darin, dass sie notwendig aus Interessensgruppen besteht, zwischen denen sonst Uneinigkeit herrscht.

Es reicht, wenn sie Meinungen vertreten, die auch nur geringfügig voneinander abweichen. Selbst in der repräsentativen Demokratie kann es zu Beschlüssen kommen, hinter denen Parteien zusammenstehen, die sich sonst spinnefeind sind.

Die Mehrheit ist politisch ein Schwergewicht ausgerechnet der Uneinigkeit wegen, die sonst zwischen ihren Vertretern herrscht.

Was sie jedoch beschliesst, kann richtig oder falsch sein. Bei all den raschen politischen Veränderungen lässt sich das schwer entscheiden.