Einmal mehr ist von der Arroganz der Deutschen die Rede. Im Zusammenhang mit unterlassenen Hilfen für Italien. Keine Ahnung, wie ich das beurteilen soll. Mein Problem: Ich sehe diese Arroganz nicht. Dafür etwas Anderes: Wer das Kinn erhoben hält, dem steht vielleicht das Wasser bis zum Hals.

Nur einmal hatte ich auf einem deutschen Einwohneramt vorzusprechen. Um zu bescheinigen, dass ich krankenversichert war. Da herrschte eine grauenhafte Stimmung. Wie alle Kunden zählte ich einen Dreck. Die Beamten blieben frostig, liessen sich Zeit. Immer wieder blickten sie aus dem Fenster, als hielten sie nach einem besseren Leben Ausschau. Ich stellte fest, dass die Leute, sobald sie an den Schalter traten, sich von Anfang an auf die Hinterbeine stellten. Mit vorweg erhobenem Kinn. Alle trugen mit Schneid und Verve ihr Anliegen vor. Alle mit `Schmackes`, wie man in Norddeutschland sagt. Und die Rede immer druckreif, wie üblich bei Deutschen. Wer zimperlich daherkam, vielleicht ängstlich zusammenzuckte, wenn der Stempel auf die Steinplatte knallte, drohte chancenlos zu bleiben. Da wurde mir klar:

Als Einzelperson in Deutschland unterzugehen, ist brutaler, als in der Schweiz, wo wir in Nischen leben wie in ewigen Nestern, sodass der Eine oder Andere auch mal sozial etwas absteigen kann, ohne dass er deshalb gleich als Nullnummer dasteht und den Anschluss verliert.

Auf Studentenpartys, wo alle mit einem Bier in der Hand in engen Zimmer herumstehen, berichten Deutsche frisch von der Leben weg, wie sie ihr Leben planen, wo sie politisch stehen und warum, auch wenn man sich gar nicht kennt. Zu allem wird Stellung bezogen, ohne Umschweife. Am Grill verfiel man in eine Debatte, ob vegetarische Burger sinnvoll wären, oder ob sie nur einen bestimmten Lifestyle befriedigten. Für uns Schweizer, erklärte ich vorsichtig, als meine Meinung gefragt war, gelte das unter diesen Umständen, da wir hier feierten und somit unsere Freizeit zusammen verbrächten, eigentlich Privatsache, ob jemand vegetarische Burger bevorzuge oder nicht. Deutsche aber streiten über solche Themen, wo immer sich die Gelegenheit bietet.

Sich selbst zu behaupten, beruht unter Deutschen auf keiner persönlichen Eigenart. Es ist schlichtweg Gewohnheit. Mehr noch, es ist Norm.

Zuerst kam mir das anstrengend vor. In einem sachlichen Gespräch fühlte ich mich von einer Deutschen belehrt, da sie ihren Ausführungen andauernd „verstehste“ anhängte. Steuerte ich mein Wissen dazu bei, hiess es „ja ja, aber soundso, verstehste“. Die Person war sichtlich betroffen, als ich ihr meinen Unwillen preisgab. Aus ihrer Sicht gab sie mir wertvolles Wissen weiter, das allen nützt. Die Deutschen reden oft davon, dass sie sich „schlau machen“. Und wenn sie andere schlau machen, meinen sie es von Herzen gut. Mit der Zeit merkte ich denn auch, dass Deutsche ihre Freundschaften pflegen. Sie bleiben am Ball, rufen an, schauen vorbei, verschicken Ansichtskarten von überall her. Das gefiel mir durchaus.

Ich lernte, ein Freund zu sein.

Diese Emsigkeit in der Freundschaft wirft ein weiteres Licht auf die Sachlage: In Deutschland möchte niemand als Einzelperson untergehen. Um keinen Preis. Also organisiert man sich Freunde und hält sie bei Laune.

An Hochschulen überleben Deutsche so: Sie alle schreiben gemäss ihren Aussagen durchwegs Bestnoten. Und immer wird das beiläufig erwähnt, als wäre es bedeutungslos. Immer eine blanke Eins. Nie kam mir ein anderes Ergebnis zu Ohren, selbst unter Arbeitskollegen, wohingegen ich Schweizer unverfroren von meinen Zweiern und gelegentlichen Dreiern berichtete. An einer gemischten Pädagogischen Hochschule herrschte unter Schweizern ein reger Tauschhandel von Arbeiten. Auch Deutsche kamen in den Genuss davon. Sie nahmen es dankend an, schliesslich liegt es in der Verantwortung des Gebers, wie weit er freigebig sein möchte. Es herrschte ja keine Konkurrenz, alle wachten peinlich über ihre Punkte, um sie dann gegen ein Diplom einzutauschen.

Von Deutschen bekam man nie etwas.

Der Tauschhandel blieb einseitig, was mir von verschiedenen Seiten bestätigt wurde. Unter anderem von Deutschen selbst. Jemand meinte selbstkritisch, Deutsche fürchteten, sie würden ihre Position schwächen, wenn sie Dinge von sich einfach so weitergäben.

Das klingt alles andere als arrogant.

Entweder ist das Urteil falsch, sofern es um Deutsche geht. Oder wir lernen anders begreifen, was Arroganz bedeutet.

Woher diese Härte unter Deutschen? Offensichtlich sehen sie das Leben grundsätzlich als Wettbewerb an. Auch da, wo keiner vorgesehen wäre. Diese Erklärung verschiebt die Frage nur. Man bedient sich gerne beim Abklatsch vom germanischen Erbe, um eine Antwort zu finden. Und dies wiederum erklärt schon mal gar nichts. Während der Völkerwanderung gingen alle Stämme unzimperlich gegen andere vor. Kreuzten sich die Wege, wurde der Gegner schon mal vorsorglich massakriert. Auch unsere Vorfahren haben einen Völkermord am kelto-romanischen Gemisch an Menschen auf dem Gewissen, die hier ansässig waren. Auch von den Franken ist Ähnliches bekannt.

Das Verhalten dieser Arroganz mit all der Not sei eher norddeutsch, hört man. Die Behäbigkeit von Süddeutschen zählt eher nicht dazu. Interessanterweise jedoch stellten viele Schwaben die Mitglieder der Roten Armee Fraktion an vorderster Front. Oder sie liebäugelten mit ihr. Das Preussentum sagt schon mehr aus, auch wenn es heute im Gebrauch zur Plattitüde neigt. Um das zu klären, reicht ein bisschen Geografie:

Deutschland hat keine natürlichen Grenzen, die fremde Kräfte abhalten.

Frankreich liegt hinter dem Rhein. England wird vom Meer umspült, die Schweizer verkriechen sich in die Berge, mitunter sogar in sie hinein. Russland kennt weite Rückzugsgebiete, die den Feind ins Leere laufen lassen. Deutschland bestand früher nur aus Rinnsalen und Sandbänken. Sumpfland bis zum Horizont. Polen kennt das gleiche Schicksal. Das Land wurde mehrfach zerrissen und aufgeteilt. Eine Diktatur folgte der anderen. Polen aber sind Katholiken von Herzen, sie brauchen kein politisch intaktes Gemeinwesen, damit sie einmal vor Gott bestehen. Damit tue ich vielen Polen gewiss unrecht in ihrem Leiden, aber eine vergleichbare Härte ist bei ihnen unbekannt. Mir zumindest.

Die Losung der Preussen passt besser als Antwort auf die deutsche Arroganz: Von allen Seiten wirst du von fremden Kräften in den Boden gestampft. So lautet die Erfahrung von Brandenburg als Keimzelle des Preussischen im 30. Jährigen Krieg.

Also sei du selbst ein Panzer gegen sie.