In einigen Haushalten wird wohl mancher Hauruck auf sich genommen, damit die Brut diszipliniert bleibt. Oder es endlich wird. Jetzt umso mehr. Zum Beispiel ist der Bildschirmkonsum der Kleinen nachzuregulieren. Das mag durchaus klappen. Längerfristig aber ist es ein vergebliches Unterfangen. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zunächst hat man herausgefunden, dass wir Menschen wie magisch davon angezogen sind, wenn eine Lichtquelle durch etwas hindurch leuchtet und zu uns dringt. Beim Bau der ersten gotischen Kathedralen zog man Nutzen aus dieser menschlichen Eigenart, indem bunte Fenster eingebaut wurden, durch die morgens wie abends Sonnenstrahlen drangen und sie so zum Leuchten brachten. So fiel der faszinierte Blick auf biblische Geschichten und Heiligenfiguren. Manche sprechen dabei von Manipulation der Kirche als politischer Kraft. Es lässt sich auch als Angebot verstehen, dass Menschen, die sonst in Russ und Nebel vor sich hinlebten, ihre Mühsal in Sinn und Zusammenhang verklärt erkannten, wenn sie die Kirche betraten. Bildschirme üben heute die gleiche Anziehung aus wie Kirchenfenster. Wenn nun Eltern oder sonstige Erzieher meinen, sie könnten ihren Zöglingen diesen Reiz austreiben, treten sie gegen weiter nichts als eine anthropologische Konstante an, die in der menschlichen Natur ihre Wurzeln hat.
Weiter fällt auf, dass die ganze Welt an Bildschirmen hängt. Einerlei, wieviel Zoll sie messen. In Südkorea, in New York, am Bodensee, wo auch immer. Und quer durch alle Altersstufen. Bei der Arbeit genauso wie in der Freizeit. Man könnte meinen, ein evolutionärer Schritt sei passiert, auf den niemand unmittelbar Einfluss nimmt. Sofern diese Fixierung wirklich ein Problem ist, dann hat es mit der gesamten Gesellschaft zu tun. Wie kann man auf die Idee kommen, in eigenen vier Wänden ein Problem lösen zu wollen, das beinah die gesamte Welt betrifft? Dürrenmatt hat in den 21 Punkten zu seinen «Physikern» eben diese Unsinnigkeit thematisiert, indem er unter Nr. 17 klarstellt, was alle angehe, könnten auch nur alle lösen.
Die Bildschirmsucht hat sich weiltweit auf einen Schlag verbreitet. Nun sehen viele eine Verschwörung bestätigt, die seit einigen Jahrzehnten die Runde macht. Es geht darum, dass man Wohlstand für alle bemüht, damit wir den Mund halten und uns freiwillig unterordnen. Die Bildschirmsucht ist nur ein weiterer, wirksamer Schachzug dieses Ansinnens, meint man. Die weltweite Organisation dieser Entwicklung über Jahrzehnte hinweg bedeutet eine masslose Überschätzung der Verschwörer, wer auch immer in diese Rolle passt. Die Projekte eines Steve Jobs oder Bill Gates kamen in den Siebziger Jahren völlig verquer daher. Ihr Erfolg war für kaum jemanden absehbar, noch weniger planbar über mehrere Jahre hinaus. Ich sehe nirgends die Möglichkeit einer zentralen Steuerung. Auch bei der Entwicklung des Lasers, die sich ebenfalls über Generationen hinzog, gab es keine Befehlsgewalt, in der alle Fäden zusammenliefen.
Mir gefällt das Bild, wonach das weltweit vernetzte Völkergemisch kulturelle Errungenschaften im Verlaufe zäher Jahre allmählich ausschwitzt. Nichts von planvoller Übersicht und zielsicherer Steuerung.
Ein Blick zurück in die Geschichte beleuchtet den Unsinn, die Bildschirmsucht auf privatem Wege zu lösen, wiederum von einer anderen Seite. Jedes Medium stiess bei seiner breiten Einführung erst auf Widerstand. In meiner Kindheit gerieten wir sehr leicht in Verruf, fernsehsüchtig zu sein. Das ist heute sozusagen kein Thema mehr, während wir genau gleich besorgt sind und aufgeregt um Handy- und Lapatopkonsum der Heranwachsenden, die sich in unserer Verantwortung befinden. Selbst das Buch stand vor Jahrhunderten in Verdacht, die Leute zu verblenden. Vielen erschien es unverständlich und töricht, wenn jemand auf ein Stück Holz starrte. Wie man weiss kommt ‘Buch’ von ‘Buche’ und so fort.
Das Argument jedoch, das ich am stärksten finde, erfordert etwas Glauben. Vielleicht fällt den Einen oder Anderen auf, dass zeitgleich mit der Verbreitung der Bildschirmsucht ein bestimmter Menschentyp auftaucht, der dafür wie geschaffen ist. Es handelt sich um Asperger und allgemein Hochsensible. Schwache Autisten, die mit der Bildschirmarbeit eine natürliche Einheit bilden, ohne dass sie danach süchtig wirkten. Sucht bedeutet nämlich, dass jemand bestimmte Lebensbereiche anfängt zu vernachlässigen. Die Genannten sind aber gar nicht in der Lage, in diesen Bereichen überhaupt heimisch zu werden. Für sie ist der Bildschirm genau das richtige Fenster zur Welt.
Das Leben hat beides hervorgebracht. Diese Menschentypen genauso wie die private wie öffentliche Nutzung von Bildschirmen verschiedenster Art.
Und zur gleichen Zeit.
Weltweit.
Wer weiss, wozu das gut ist. Dies zu ahnen, beschränkt angenehm unseren Einfluss als private Erzieher, wenn es um die Bildschirmsucht der Kleinen geht. Das lindert wohltuend unsere Versagensängste.
Und nimmt so Druck von uns und von den Kleinen.
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