Seit Corona fahre ich mit meinem Backfiez über Land. Das ist eine Art Kastenrad, das gerade in dieser Zeit den Leuten ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, wenn ich ihre Wege kreuze. Warum nur? Auch Autos brausen vorbei, unter anderem. Doch niemand freut sich daran.

Vor ein paar Wochen noch standen Autos für persönliche Freiheit. Seit Corona wirken sie eher wie Kokons, die Schutz bieten vor der Aussenwelt. Mein Backfiez ist eigentlich das Gegenteil davon. Mit seinem offenen Kasten, den es vor sich herschiebt, wirkt es wie eine riesige Schaufel oder Schöpfkelle, die alles Mögliche von der Umwelt aufnimmt. Sicherlich auch Viren, die frei schweben. Ausgehustet von Joggern auf Feldwegen.

Die Geschichte des Backfiez sind denn auch die Dinge, die es mitführt. Grünabfuhr, Sperrgut. Aber auch Zufälliges, wenn es am Bahnhof steht. Einmal lag eine leere Bierflasche darin. Kartonreste von Knabberzeugs. Ein anderes Mal ein belegtes Brot, noch in Folie verpackt. Die Schaffhauser Nachrichten vom 16. November 2015 lagen darin. Ein verbogener Knirps, Farbe Schwarz. Eine abgelaufene Tageskarte. Ein Diättafelwasser mit Pfirsichgeschmack, volle Flasche. Mein Wunsch wäre es, als „Händler der vier Jahreszeiten“ Äpfel oder Aprikosen zu verfrachten. Immerhin, das Gefährt war schon mit Büchern vollgepackt, mehrfach.

Aber natürlich gehören auch Menschen zu dieser Geschichte. Zum Beispiel ein ganzer Froschteich kleiner Mädchen, die auf dem Weg zum Kindergarten jubeln, wenn wir an Passanten vorbeibrausen. Auch Moongirl nimmt gelegentlich, eher selten jedoch darin Platz, wenn wir für eine kleine Reise zum Bahnhof fahren. Dort stelle ich das Rad jeweils unter eine Platane, die es mit ihrem Laub füllt. Das Backfiez eignet sich vorzüglich als Taxi für Mondsüchtige und Kiffer. Sein Tempo ist ihnen genau angemessen. Entzücken, Gelächter.

Und die Gedanken fliegen.

Die Freude, die das Backfiez auslöst, liegt offensichtlich daran, dass es eine gewisse Behaglichkeit ausstrahlt. Das sagt sein Name schon aus. «Backfiez» ist Holländisch und bedeutet «Wannenrad». Eine Wanne zum Backen, also eine Backform auf zwei Rädern. Die Wanne erinnert genauso an ein schaumiges Bad wie an Vorräte, Eingesalzenes, Gepökeltes, Eingetütetes, sowie auch an Aufläufe aus dem Ofen, Gegartes, Eintöpfiges.

Scheunen und Speicher sind voll. Das hört man gern, besonders im Norden.

Mehr noch, das Rad ist ein Bauch. Ein offener Bauch. Seit meiner Ernährungsumstellung habe ich mir also einen neuen Bauch zugelegt. Nun bin auch ich ein Bauchmensch geworden. Die Moderne jedoch, die auf Vernunft setzt, und zwar aus guten Gründen, hat für Bauchmenschen nur Verachtung übrig. Aus der Tiefe dieser Höhlung tauchen Gefühle auf, die Schaden anrichten, indem sie sauber kalkulierte Pläne durchkreuzen. Kant setzte dem freien Willen, der allen ein gutes Leben zusichert, das gemischte Wollen entgegen. Das bedeutet eine Mischung aus Sehnsüchten, Wünschen und Begierden, gewürzt mit viel Gejammer und Gelächter.

Wie lernt man, trotzdem Achtung zu haben vor den Gefühlen der Bauchmenschen? Die Demokratisierung, immerhin ein Anliegen der Moderne, hätte sich leichter vollzogen. Doch wer sich vom modernen Staat verachtet sieht, weist folgerichtig die Grundsätze zurück, die er ihm abverlangt. Hätten Marx und Lenin die Religion zur Privatsache erklärt, statt sie vernichtend zu bekämpfen, sähe die Weltgesellschaft heute vielleicht anders aus.

Besonders in südlichen Gegenden, wo man den Hausheiligen noch Schnäpse hinstellt, verschliesst man sich bis heute der Modernisierung.

Denn da spielen Bauchgefühle immer noch eine wichtige Rolle.

Und zwar genauso aus guten Gründen.