Nicht alle Pflegefachleute freuen sich am Applaus. Schon lange vor Corona hätten wir sie beklatschen sollen. Als das Einsparen anfing. Als man auch Spitäler das Fürchten vor Roten Zahlen lehrte. Mit der Krise bekommt die Liberalisierung nun schlechte Noten ausgestellt. Einige rufen, das sei höchste Zeit.
Ein Bekannter quittierte nach über dreissig Jahren seinen Dienst als Psychiatriepfleger. Und keineswegs aus Erschöpfung. Im Gegenteil. Er ging kampflustig. Aber es war ihm nicht mehr möglich gewesen, mit einzelnen Patienten, die nun Klienten hiessen, für ein paar Schritte nach draussen zu gehen. Infolge Personalmangel. Was nicht am Arbeitsmarkt lag, sondern daran, dass die Psychiatrie Löhne einsparte. Damit sie Schwarze Zahlen schrieb. Damit ihr Portfolio am Finanzmarkt einen reizvollen Auftritt hinlegte.
Gleichzeitig bekam die Belegschaft auf Neujahr Sonderprämien ausbezahlt. Eine Art Bonus auf Stufe Pflege. Für meinen Bekannten ergaben sich ein paar Hunderter, in einen nett beschrifteten Umschlag gelegt. Auf seine Frage, welche Beträge für das Kader geschüttet würden, hiess es, das brauche ihn nicht zu interessieren.
Eine Pflegefachfrau für Intensivmedizin verglich das Arbeiten vor und nach der Liberalisierung mit Tag und Nacht. Heute sitzt sie in einem Stadtrat für die Sozialdemokraten. Was zeigt, dass man sich auch dann Gegner schafft, wenn man sein Prinzip schlicht übertreibt, wie etwa den Bereich Pflege an Renditenwirtschaft und Finanzmärkte zu knüpfen.
Jedenfalls sind die Grundsätze der Liberalisierung ungeeignet, eine Krise zu bewältigen, wie sie derzeit herrscht. Auch vermute ich, dass sie den schlimmstmöglichen Fall ausblendet, sei es nun Krieg oder Pandemie. Liberalisierung setzt eine wunderbare Welt der Flexibilität und Freiwilligkeit einfach voraus. Darin sehen ihre Vertreter freilich das gewaltige Potential an Möglichkeiten, das Regulierer andauernd binden wollen. Der Wettbewerb beginnt ja klarerweise bei den Offerten, wenn es um grössere Projekte geht. Ich weiss nicht, ob man in Fukushima einen vierzehn Meter hohen Tsunami in Rechnung gestellt hat, als man die Sicherheit der Reaktoren plante und dazu Offerten einholte. Vielleicht lag er auch jenseits aller erdenklichen Szenarien. Aus erster Hand hingegen ist mir bekannt, dass in den Neunzigern, als man die Informationssicherheit der Ostschweizer Kantonalbanken zuwege brachte, ein Spezialist in seiner Offerte den schlimmstmöglichen Fall bewusst ausser Acht liess, damit sein Angebot günstiger wurde.
Er schummelte zu dem Zweck, dass er den Fuss in die Tür bekam.
Denn der schlimmstmögliche Fall ist einfach zu teuer.
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