Dank Corona bin ich in die peinliche Lage geraten, dass ich mir Filme wie «Joker» zu Gemüte führe. Nun ist zu hoffen, dass die gegenwärtige Häuslichkeit keine Jokers hervorbringt. Die Figur ist mir aus den Schulklassen, die ich unterrichtete, bestens vertraut. Zumindest, was ihr Auffallen angeht.

Der Film hat mich bewegt. Die Gewalt, die darin vorkommt, ist Nebensache. Auch das Schauspiel des Hauptcharakters bietet Hochgenuss, wenn er zugleich lacht und weint. Während der Interaktion mit Di Niro kommt es mir vor, als habe sich Phoenix Michael Jackson zum Vorbild genommen.

Der nachmalige Bösewicht leidet offensichtlich an einem psychisch bedingten Turettsyndrom. Die biografische Logik dieser Comic-Figur ist allbekannt: Das Kind wird belogen und misshandelt, sein späterer Hass richtet sich gegen eine ganze Gesellschaft, die das zuliess.

Mir gefällt, dass die Figur sich ihre gesetzlose Position nicht souverän ergaunert, etwa in der Art, wie Batman sich dann planmässig gegen das Böse der Welt ausrüsten wird. Vielmehr wird Fleck dahin geschoben. Etwa dadurch, dass ihm ein Berufskollege einen Colt mit Munition zusteckt, damit er sich gegen die Demütigungen zur Wehr setzt. Auch die Einladung an die Murray-Franklin-Show, die dann die Geburt des Jokers auch als Idol und Führer befördern wird, fällt dem gepeinigten Fleck von aussen einfach zu.

Die Symbolik des Films wirkt unaufdringlich. Der Kopf spielt eine Rolle, als Sitz des Ich, sowie Türen: Zu Beginn wird Fleck ein Holzschild ins Gesicht geschlagen. In der Psychiatrie rammt er seinen Kopf gegen verriegelte Zelltüren. Später läuft er gegen eine Glastür. Mindestens zweimal steckt er knallende Kinnhaken ein. Sein früheres Idol Franklin erschiesst er mittels Kopfschuss. Kurz vor seinem Wandel von Arthur Fleck zum Joker lockert sich der Bann, den er sein ganzes Leben vergeblich zu durchdringen suchte: Die Akte über seine leibliche Mutter entreisst er dem Archivar, indem er durch die Öffnung des vergitterten Schalters greift. Durch das Eisentor, das trotz Zaubertrick geschlossen bleibt, kriegt er immerhin den Betreuer und nachmaligen Butler des kleinen Batman zu fassen und würgt ihn gehörig. Nach seiner Kündigung als Spitalclown eilt er eine Treppe hinunter und stösst eine Tür in die gleissende Sonne weit auf. Auch nach der Tötung seiner Peiniger öffnen sich Türen für den Joker, wobei anzumerken ist, dass sein letztes Opfer seinerseits verzweifelt gegen eine U-Bahntür hämmert, die erst geschlossen bleibt.

Soviel zum Film. Im Gegensatz zu anderen Comic-Figuren verweist der Joker durchaus auf reale Hintergründe. Ein paar Anmerkungen dazu: Wie schafft es eine Gesellschaft, dass sie keine Jokers hervorbringt? Ganz einfach, indem man Kinder anständig behandelt. Das adressiert sich besonders an Lehrkräfte. Und wie macht man das? Ob die Pädagogischen Hochschulen dazu Handreiche bieten, weiss ich nicht. Im Seminar jedenfalls führten wir Übungen durch, die genau dies bezweckten, nämlich dafür zu sorgen, dass aus den Kindern, die du beschulst, keine Jokers hervorgehen.

Diese Übungen liefen wie folgt ab: Stelle dir ein Kind vor, das nichts richtig macht. Es verhält sich bösartig gegen andere, die erfolgreich sind. Wie begegnest du diesem Kind? Trotzdem mit Anstand. Aha, aber eben, wie soll das gehen? Denn das Kind weckt auch in dir Abscheu, je nach dem sogar Hass. Die Frage muss anders gestellt werden. Nämlich so:

Wie willst du, dass dieses Kind in dreissig Jahren dir begegnet?

Wenn es zum Beispiel als Pflegekraft an das Bett tritt, auf dem du bedürftig liegst. Oder wenn es wider Erwarten zum Bundesrat gewählt wird.