Halt eine Kirche. Wie eine andere auch. Kreuz, Schiff, Kanzel, Orgel. Gewohnheit macht blind. In gewisser Weise.

Blicke ich mich um, merke ich: Es ist alles da. Zunächst geschichtlich: Fresken an Wänden, beinah unkenntlich, so blass. Die Säulenreihen längs des Schiffes sind mit Bögen verbunden. Romanik also. Da klingt auch Arabisches mit an, ob man das will oder nicht. Die Bogenreihe greift somit tief in die Geschichte und holt sie her. In meine Gegenwart. In mein Leben, der ich hier herumstehe.

Sie schliesst mich damit kurz, über Dekaden hinweg, sogar über Millenien.

Und der hölzerne Leuchter an der Decke über mir wirkt jüdisch. Der Raum ist kahl gehalten, wie ausgeschabt oder leegeräumt, was zunächst an Cluny gemahnt. Der Ort jedoch ist protestantisch. Das bereitet mir Langeweile, dabei kann ich die Reformation als Umschlag und Angelpunkt europäischer Geschichte problemlos einsehen. Eine Vielfalt wird zu üppig und brüchig, sie bietet keine verlässliche Grundlage mehr für das Zusammenleben. Nun möge einzig und allein das Wort erschallen. Kein Bild mehr, kein Heiligenfinger zum Küssen, kein Dampf von Harzen mehr aus teurem Messgeschirr.

In Bänken sitzend sehe ich drei Fenster in der Front nach Ost, mittig zu einem Dreieck geordnet, dessen Spitze nach oben führt. Daneben die Kanzel, darunter der Altar. Allerdings ist es ein Taufsein. Wie üblich bei reformierten Kirchen. In der Mitte des gesamten Geschehens ruht nicht das Wort, sondern die Taufe. Zugleich erinnert der Stein an einen Sarkophag. Leben und Tod also. Sein Beckenrand reicht dem Gläubigen, der in Bankreihen sitzt wie ich jetzt, genau zum Hals. Als hockten wir in unserem sterblichen Leben wie in einem Schlammbad, das den Boden des gesamten Schiffes bedeckt. Und die Dreifaltigkeit prangt schwebend über uns in Form der drei Fenster, die vom Tageslicht hell erleuchtet sind. Ideal und Wirklichkeit klaffen auseinander.

Von Einheit keine Spur.

Aber was sind Glaube und Religion Anderes, als dass man Einzelheiten des Lebens in ein lebendiges Ganzes aufgehoben fühlt?

Die Treppe zur Kanzel führt aus diesem Schlamm empor, während die Kanzel, das Wort somit, eine Vorstufe zu diesem dreifaltigen Himmel bildet. Höre das Wort, und du findest aus dem Schlamm heraus, sofern du es befolgst. So hocken wir in Schuld und Sterblichkeit gesteckt, wie bleiche Spargeln im Ackerboden, während Himmel und Jüngstes Gericht als ferne Zukunft aufleuchten.

Wenn man aber seinen Blick auf der gesamten Szenerie ruhen lässt, verändert sie sich. Mir fällt auf, dass der Taufstein mit den Fenstern zusammen architektonisch, sprich geometrisch eine geschlossene Gestalt bildet, die das Empfinden einer Einheit erst möglich macht.

Auf einmal wird vor mir eine Vierfaltigkeit zum Ausdruck gebracht.

Nichts zerfällt mehr in Schuld und Sühne, Leben und Tod, Himmel und Erde, Diesseits und Jenseits. Der morphologische Blick verschliesst diese Brüche zu einem Ganzen.

Zu einer Einheit, die reinste Göttlichkeit und schmutzige Schöpfung zugleich umfasst.

Diese Einheit besteht seit je.

Also auch jetzt.