Nie hätte ich gedacht, dass mich Kants Imperativ, den ich nur vom Lesen kenne, in einer ganz praktischen Sache herausfordern könnte. Kaum hatte ich meinen intimen Unterbau über die Stufen eines Dampfbads gezogen, die offensichtlich schlecht gespült waren, griff ich Bakterien auf, die es bis zur linken Niere hoch schafften.
Die Heimfahrt verbrachte ich stehend, trotz freier Sitze im Zug. Dazu Schmerzattacken mit Brechreiz und kaltem Speichel, der massig triefte. Das Schmerzmittel liess erst auf sich warten, ebenso das Antibiotikum. Dieses jedoch war bald wie Kanonen in Stellung gebracht und schoss die ungebetene Natur in mir ab.

Nun verdanke ich kleinlaut die Leistungen eines Pasteur, der mit Wachheit und Interesse bemerkte, dass Leben anderes Leben beschränken kann. Ein natürlicher Grundsatz, der keineswegs notgedrungen den Weg zu einem Heilmittel anzeigt. Es brauchte ebenso die Beobachtung eines französischen Offiziers der Kavallerie, um das Thema am Leben zu erhalten, dass seine Rittmeister die Sättel in dunklen, feuchten Räumen aufhängten. Sie gaben an, die Rücken der Tiere seien bei angeschimmelten Sätteln weniger wund gescheuert.

Erlöst vom Schmerz verdanke ich die Medikamentenindustrie mit all ihren Bedenklichkeiten. Die Entwicklung neuster Technologien, mit deren Hilfe wir natürliche Stoffe auseinandernehmen, soweit nötig, und sie verbessert nachbauen. Mein Dank gilt den Hochleistungscomputern und ihren Betreuern sowie all den hochdekorierten Spezialisten, die ihre Familie vernachlässigt und eine Kaffeesucht auf sich genommen haben, während sie dafür sorgten, dass der Stoff auch den Erreger im Körper findet, ohne giftig zu werden, falls nachzulegen wäre, dass er wieder ordentlich entsorgt wird, statt sich abzulagern, und dass er als Nebenwirkung kein drittes Ohr wachsen lässt.

Mein Spott ist verfehlt, denn ich bin ohne Schmerzen! Nach dreizehn Jahren Forschung im Schnitt! Vielleicht müsste ich auch vor dem Wettbewerb dankend in die Knie sinken. Allerdings scheint mir dort, er schade dem Wissenschaftsbetrieb.

Nun muss ich die gesamte Packung des Antibiotikums leeren, sprich zehn Tage lang morgens wie abends, obwohl ich wieder schmerzfrei und wie neugeboren durch den Alltag tänzele. Man weiss, die Bakterien vermehren sich mehrfach stündlich in ungeschlechtlicher Weise. Eine Art Kopiervorgang des Erbgutes, dem auch Fehler unterlaufen. Solche Fehler können zu Stärken führen.

Etwa zu Resistenz gegen das Medikament.

Wer es also vorzeitig absetzt, überlässt diesen Organismen, die bisher überlebten, eine geschützte Umwelt zur freudigen Mutation. Bei mir wölkt noch ab und zu ein leichter Druck dem Schambein entlang, sodass ich genügend Ansporn fühle, die Packung zu leeren. Mit den Tagen aber wird die Sache zur reinen Pflicht. Die groben, geschmacklosen Pillen zu schlucken, bewirkt einen Ekel der besonderen Art.

Und da kommt Kant ins Spiel. Sobald die Sinnlichkeit wegfällt, mir Dringlichkeiten nahezulegen, springt das Denken ein. Schmerz oder Lust machen uns problemlos gefügig. Beim Verstand bedarf es aufwändiger Überlegungen. Nach Kant sollen wir prüfen, ob der Grundsatz oder die Leitidee der Handlung, die wir zu tun beabsichtigen, auch als Gesetz für alle taugen könnte. Dabei ist vorausgesetzt, dass es darum geht, die Gesellschaft voranzubringen. Zum Wohle aller also.

In meinem Fall lautet das so: Verbrauche die ganze Packung, damit du zu keinen Resistenzen beiträgst und dadurch die Gefährdung aller förderst. Die Leitidee oder Maxime, wie Kant es nennt, wäre demnach so etwas wie Nachhaltigkeit oder Rücksicht auf alle, da ich von gesellschaftlichen Vorzügen nutzniesse, die wir alle zusammen einander garantieren.

Vorzüge wie zum Beispiel erstklassige Wellnesstempel.