Unter Erziehern sind Idealisten verbreitet. Man könnte sie Fundis nennen. Ich sehe mich hingegen als Realo. In aller Bescheidenheit. Für den pädagogischen Idealismus fehlt mir wohl sehr oft die nötige Einbildungskraft.Wenn ich zum Beispiel den Termin zur Abgabe einer Hausarbeit anordne, fällt es mir schwer, so zu tun, als handelte es sich um einen Kundentermin oder um etwas, das dem an Ernsthaftigkeit vergleichbar wäre, eine behördliche Sitzung oder der Meilenstein einer Projektarbeit, wo es bei Fehlern zu Verzögerungen käme, die ins Geld gingen. Also halte ich es für eine Form von Idealismus, wenn man die Schüler dazu auffordert, sie sollten den Auftrag so wahrnehmen, als handelte es sich um einen Kundentermin. Der Vergleich hinkt beträchtlich, denn ein enttäuschter Kunde wendet sich ab und sucht ein anderes Angebot. Es kommt also zu einem wirtschaftlichen Schaden. Das macht die Ernsthaftigkeit der Sache aus. Bei versäumter Abgabe einer Hausarbeit droht kein solches Ungemach, man mag es sich noch so sehr einreden.

Dann wird das eben einfach geübt. Wie beim Sport, der allem Möglichen zum Vorbild dient. Athleten trainieren für den Wettkampf, das Training selbst ist keiner. Es hat eine eigene Wirklichkeit. Im Sport klaffen Übung und Ernstfall klarer auseinander als andernorts.

Vor Jahren war ich Mitglied einer Milizfeuerwehr. Man liess sich Zeit, die Fertigkeiten zu üben: Stricke knoten, Schlauch verlegen, Erste Hilfe leisten. Immerhin winkten Bratwurst und Bier. An die Abläufe wurden indes höchste Ansprüche gestellt. Die Offiziere griffen ein, verbesserten, belehrten, stoppten die Zeit. In jenen Jahren durfte ich einen Ernstfall mitmachen. Eine Scheune brannte, das Wohnhaus war zu retten. Es herrschte ein völliges Durcheinander, man riss sich Werkzeuge aus der Hand, Befehle schwirrten herum, tausend Hände griffen überall zu, wie es gerade nötig war.

Am Ende war das Ziel erreicht, der Brand gelöscht, das Haus gesichert. Der Idealismus der Offiziere wirkt nachträglich wie etwas Überflüssiges. Wie etwas, das nötig ist, solange kein Ernstfall eintritt.

Eine Mutter kauft eine Dörrmaschine und wünscht von ihrem Sohn, er möge ihr dabei zur Hand gehen. Es ist ihr ein Anliegen, dass er etwas Sinnvolles tut. Misslaunig schichtet er Schnitze von Pflaumen und Aprikosen in die siebartigen Lagen. Die Mutter stellt ihn zur Rede, woraufhin er meint, man könne das ganze Jahr über Obst kaufen. Tatsächlich gibt es weder Holz zu hacken für den Winter, noch Kartoffeln zu stecken. Der Junge erachtet das Projekt seiner Mutter als Liebhaberei, während sie ihm den erzieherischen Nutzen davon einschärft. Nun weiss der Junge um die Inszenierung seiner Nützlichkeit. Wenigstens soll er staubsaugen, allerdings handhabt er das Kabel derart ungeschickt, dass die Mutter sich zur Schilderung genötigt sieht, wie sie früher mit Kehrbesen und Schaufel hantierten.

Der pädagogische Idealismus wuchert, sobald wenig Druck herrscht. Im Ernstfall lässt er Federn. Da stellt sich die Frage: Was ist die Schule als Ernstfall? Wettkampf oder Training? Hier steht Idealismus gegen Realismus. Nicht zuletzt bekenne ich mich aus Selbstschutz zum pädagogischen Realismus:

Denn häufig sind es die Idealisten, die ausgebrannt den Schuldienst quittieren.