Wir sind eine Wissensgesellschaft. Von wegen.
Warum sollten wir keine sein? Jede wissenschaftliche Neuerung wird doch uns allen zur Verfügung gestellt: Laserbehandlung, Minergiehäuser, schallgedämpfte Motoren, neue Medikamente, künstliche Gelenke. Wissen erleichtert das Leben. Nach diesem Grundsatz richten wir uns seit ein paar Jahrhunderten. Blickt man aber genauer auf die Liste dieser Neuerungen, wird klar, dass es Beispiele sind, die sofortiges Vertrauen geniessen.
Denn es ist Wissen, das sich in Technik umsetzen lässt.
Also beruht es auf Naturwissenschaft sowie Ingenieurswesen. Nur in diesem Sinne können wir uns Wissensgesellschaft nennen. Aber selbst dort ist Vertrauen nur bedingt garantiert. Wenn das Wissen zu keiner Technik führt, sondern uns eine andere Haltung abverlangt, fällt das Vertrauen schwerer. Zum Beispiel hat die Neurobiologie festgestellt, dass das menschliche Gehirn im Schnitt ab dem zwölften Lebensjahr für ein ganzes Jahrzehnt eine weitere Entwicklung durchläuft. Wir Erwachsenen, Eltern und Erzieher, hören das gerne, denn wir erfahren Entlastung, dass so manches Versagen erklärbar wird.
Aber wir passen unsere Erwartungen nicht an, die wir tagtäglich an die Jugendlichen stellen: Sie sollen selbständig vorgehen, eigenverantwortlich sein, die Dinge in vernünftiger Voraussicht planen.
Mit einer Baustelle im Kopf!
Und wir zeigen uns irritiert und beleidigt, wenn die Jugendlichen nicht so wollen, wie sie sollen. Offensichtlich sind wir die Idioten, denn wir hören nicht auf dieses Wissen. Auch ist erwiesen, dass Jugendliche in dieser Phase erst spät am Tag munter werden. Das hängt mit dieser Entwicklung zusammen. Man stelle sich vor, sie schlurften erst gegen zehn Uhr zur Schule. Panik würde die Leute ergreifen. Sie sähen die Zukunft aller in Frage gestellt.
Die Entwicklungspsychologie stellt klar, ab der zweiten Hälfte ihrer Teenagerschaft gehe es den Jugendlichen in erster Linie um ihre persönliche Identität unter den vielen dieser Gesellschaft. Alles andere hat in den hinteren Rängen Platz. Auch hier verhallt das Wissen ungehört.
Und wie steht es um die Geisteswissenschaft? Um 1970 herum sollte ein Fach namens Futurologie die Geschichte ersetzen. In den 90igern kam sie wieder in Mode. Jede Ortschaft gab eine historische Klärung in Auftrag. Auch Vereine schickten Fachleute in die Archive. Viele halten die Geisteswissenschaft für erledigt. An Pädagogischen Hochschulen geht es empirisch zu und her. Auch wird durchwegs die Systemtheorie gelehrt. Dabei handelt es sich um eine fein gefertigte Schablone, die auf alles passt, was lebt. Sie beruht auf zahlreichem Wissen, das vorerst aus der Biologie stammt. Nun weiss man allerdings nicht, ob sie sich einfach nur selbst bestätigt.
Die Administration Trump hat kaum Gelder für Soziologie, Geschichte oder Philosophie bereitgestellt. Offenbar ist manchem ein wesentlicher Vorzug der Geisteswissenschaft entgangen: Nämlich dass dort Betrug von der Sache her ausgeschlossen ist.
Ein Geisteswissenschaftler kann unmöglich schummeln, selbst wenn er es versuchte. In diesen Fächern gibt es keine Daten zu schönen, keine Falsifizierung zu unterschlagen. Eine Soziologin, sofern sie hermeneutisch arbeitet, kann die Vorannahmen ihrer Schlussfolgerungen niemandem vorenthalten. Wie auch? Die Naturwissenschaft, besonders die empirische Sozialforschung, hat Vertrauen eingebüsst, seitdem der Wettbewerb in Laboren Einzug genommen hat. Diese liberale Massnahme gehört mit zur heutigen Wissensgesellschaft. Nun wird geschummelt und getrickst, Hauptsache man kriegt einen Fuss in die Tür, damit Gelder gesprochen werden. Professoren zitieren sich gegenseitig, da ihre Qualität an der Anzahl der Zitate ihrer Arbeiten gemessen wird. Dabei spielt keine Rolle, ob diese mit Lob bedacht sind, oder ob sie missbilligend zur Sprache kommen.
Ein befreundeter Historiker ermittelte, warum am habsburgischen Hof zu barocker Zeit welcher Höfling an welchem Ort zu welcher Zeit anwesend zu sein hatte. Dabei ging ihm auf, dass er damit zugleich die Verhältnisse beschrieb, die gerade an seiner Universität mit Exzellenz-Auszeichnung herrschten.
Aber das durfte er nicht sagen.
So funktioniert Wissensgesellschaft.
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