Die Wandtafel putze ich wie ein Japaner, der den Kies im Garten recht. Zumindest bilde ich mir das ein. Einmal kam es mir vor, als durchliefe ich dabei den gesamten Zivilisationsprozess. Wie weit soll der gehen?
Angenommen die Tafel wäre vollständig kalkverschmutzt, mit wilden Wischspuren infolge ungeschickter Handhabe, wenn man mit dem Lappen ins Trockene fährt oder mit Kreide in genässte Flächen, dann greift man beherzt ein, holt mit dem Schwamm aus, den man erst tüchtig ausgespült hat, und lässt den Schieber seine Bahnen ziehen. Man glaubt, die Tafel sei makellos sauber, solange sie nass ist. Mit dem Eintrocknen treten allerdings nach wie vor Kalkspuren zutage, wenn auch in geringerer Anzahl und häufig nur an den Rändern der Tafel. Nun beginne ich mit der Nachbesserung, die nächste Stufe im Zivilisationsprozess. Ich nässe nach, reibe alles trocken. Im Licht treten nun Stellen hervor, die noch leicht von Kreidestaub getrübt sind. Vor dem ersten und zweiten Abwisch waren sie mir gar nicht aufgefallen. Zudem bleibt Kreide an den Rändern der Bahnen haften, die der Schwamm zog und den Schieber überlebt haben, ähnlich der Salzspuren an den Rändern von eingetrockneten Schweissflächen, wenn man wandert oder Sport treibt.
Eine Verbesserung macht auf weitere Missstände aufmerksam. Und indem ich diese angehe, verfeinert sich meine Aufmerksamkeit, bis ich in den Ecken der Tafel herumpützele.
Von Verfeinerung sollte allerdings keine Rede sein. Es ist immer die gleiche Aufmerksamkeit, der dadurch, dass man die Lage verbessert, immer kleinere Missstände auffallen. Die Sitten verfeinern sich nicht, wie man beim Zivilisationsprozess glaubt. Sie finden bloss auf immer feinere Belange des alltäglichen Lebens Anwendung.
Der weitere Zivilisationsprozess sieht vor, dass man die Techniken verbessert. So kann man sogar den Schwamm mit einem Tuch abreiben, dem Wasser etwas Essig beifügen und das Tuch so falten, dass Stellen zum Vorschein kommen, die noch sauber sind. Vielleicht setze ich sogar die Lesebrille auf, damit ich noch weitere Spuren entdecke, auch wenn sie nur sehr blass sind.
Und auf einmal sichte ich überall Prozesse dieser Art. Zum Beispiel auf dem Pausenhof. Früher wurde eingegriffen, wenn Fäuste flogen oder Tränen flossen. Heute wird sogar ein Fall daraus gemacht, mit Abklärung und der Androhung weiterer Massnahmen, wenn jemand das Kerngehäuse seines Apfels unrechtmässig unter die Leute wirft, jedoch im harmlosen Bogenschuss, ohne zu zielen.
Es ist wie bei der Wandtafel. Nach der starken Verschmutzung fallen uns kleinste Eintrübungen auf. Wie weit soll diese Abrichtung gehen? Eigentlich erschreckend, wie angepasst Heranwachsende sich verhalten, wie stromlinienförmig sie eingespurt sind. Nur schon die geringste Abweichung fällt auf.
Vielleicht findet man das genug der Zivilisierung. Andere sehen sie erst jetzt allmählich erfüllt.
Wie auch immer. Dafür, wie weit die Zivilisierung gehen soll, gibt es kein Mass, das für alle verbindlich wäre.
Soviel ist gewiss.
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