Morgen werde ich gevierteilt. Oder erhängt, ich habe nicht richtig zugehört. Zu meiner Verteidigung meinte ich: Sorgt für meine Hühner. Dabei habe ich gar keine. Das heisst, zu verteidigen gibt es nichts.

Im Grunde habe ich Verständnis für meine Gegner. Ihre Vorwürfe treffen zu: Ja, ich habe Volksvermögen veruntreut. Und ja, ich gönnte mir sonstige Naschereien, Frauen zum Beispiel, Autos, all dieser Schnickschnack. Dafür habe ich Gründe, die ich gerne erläutere. Denn offensichtlich wird zu wenig verstanden, was Diktatur eigentlich bedeutet. Ich meine, für die Person, die sie ausführt. Für die Täter also. Mit meinen Bekenntnissen möchte ich zu einem Täterhumanismus beitragen, obgleich es den meines Wissens gar nicht gibt. Für meine Opfer wird es sich wie Spott anhören, dagegen kann ich leider nichts ausrichten.

Zum Beispiel hat man keinen Begriff davon, was mit einem Menschen passiert, wenn sich alle vor ihm auf die Knie werfen. Bildhaft gesprochen. Das Volk lebt in Unordnung, die allgemeine Orientierung ist verloren gegangen. Man wünscht einen Befehl, der alles richten möge. In China hiess es: Alles unter einen Himmel. Zugegeben, es hat einen enormen Reiz, wenn man unbeschränkt Beschlüsse fällen kann, die andere betreffen wird, von denen jedoch keiner auch nur einen Piep Mitspracherecht hat. Kein Widerstand stellt sich dir entgegen. Zunächst fühlte es sich an, wie damals, als ich im Garten meiner Eltern mit dem Wasserschlauch die Katzen jagte oder die Rosen aus weiter Entfernung goss. Diese kindliche Freude an der verlängerten Hand wird neu entfacht, wenn du weder auf das Parlament noch auf die Gerichte zu hören brauchst. Diese Einfachheit, das sage ich aus Erfahrung, macht dich dumm.

Und kindisch.

Dabei ist Folgendes zu bedenken: Es liegt im Wesen jeder Diktatur, dass ihre Freuden keine vier Tage dauern. Die Arbeit war denn auch sehr interessant, zu Beginn. Aber wie gut kalkuliert und begründet du auch deine Beschlüsse für andere fällst, es gibt von Anfang an einige, denen sie missfallen.

Noch zögern sie, dich zu bekämpfen. Doch du wirst ihretwegen keinen Kurswechsel vornehmen. Wegen einer Minderheit doch nicht. Das klingt nach bösartiger Macht. Ist es nicht. Denn da gibt es zudem eine schweigende Mehrheit, die bei einer Diktatur gerne übersehen wird. Die würde meinen Kurswechsel als Idiotie auffassen und glauben, mich entmachten zu müssen, da ich unzurechnungsfähig wäre. Ich verweigerte einen Kurswechsel, nicht etwa aus Achtung vor der Mehrheit, das wäre eine Art Kryptodemokratie, was es im Endeffekt auch ist.

Sondern aus Angst vor ihr.

Denn wenn die Mehrheit losgelassen ist, nützt dir das trickreichste Sicherheitsdispositiv rein gar nichts mehr. Diktatoren fürchten die Mehrheit. Also sind sie Demokraten.

Die Angriffe nehmen zu. Die Minderheit wächst. Ein bisschen Bürgerkrieg wäre jetzt angebracht. Was die Mittel angeht, bin ich als Autokrat der Mehrheit überlegen. Auch das liegt im Wesen einer Alleinherrschaft. Ich lasse Streit sähen. Im engsten Schaltkreis ziehe ich die einen ins Vertrauen, andere nicht. Bei der Auswahl spielen meine persönliche Neigungen sehr wohl eine Rolle. Das wäre nun eindeutig Machtmissbrauch. Mag sein, aber ich wusste nie, nach welchen Kriterien ich sonst hätte entscheiden sollen.

Dass ich die bedrohliche Mehrheit derart zersetze, kann doch nur selbstherrlicher Machtmissbrauch sein. Weit gefehlt. So sichert sich eine Diktatur ab, sie spaltet Mehrheiten. Mir persönlich blieb ohnehin kein anderer Ausweg. Mein Überlebenstrieb war zugleich Antrieb dieser Diktatur, damit ein Durcheinander im Volk in Ordnung kommt. Und es bleibt. Tief in meiner persönlichen Angst vor Untergang und Tod war ich mit dem Wesen der Diktatur gekoppelt. Sie war ihr Motor.

Aber das geht nicht einfach so weiter. Je mehr ich Kurs halte, desto stärker werden die Gegner. Also leiste ich Gegendruck, zum Voraus schon. Dabei berufe ich mich auf Macchiavelli, der Mittel allgemein gutheisst, wenn sie einem hochwichtigen Zweck dienen. Und Überleben ist immer hochwichtig. Höchstwichtig. Auf allen Seiten.

Deshalb klebt nun Blut an meinen Händen.

Es mag sich seltsam anhören, wenn ich von einer Natur der Diktatur rede oder von ihrem Wesen. Als wäre sie etwas Eigenes. Diktatoren wie ich aber haben gar keine Wahlfreiheit, obwohl dieser Eindruck hartnäckig besteht. Deshalb ist sie etwas Eigenes, das auch von selbst abläuft. Zum Beispiel können sich Alleinherrscher nur so aus der Gefangenschaft lösen, in der die Mehrheit sie hält, ob wissentlich oder nicht. Eben durch ihre Zersetzung. Dabei spielt keine Rolle, ob sie im Moment für dich oder gegen dich ist. Sie darf einfach keine Mehrheit bleiben. Für Diktatoren gibt es längerfristig nur die Flucht nach vorn. Darin sind wir weder frei, noch souverän.  Wie Cäsar am Rubikon.

Flucht nach vorn. Das meinte Cäsar, als er schrieb, die Würfel seien geworfen. Da führt man ein Leben, wo Schlafmittel unentbehrlich werden. Nun sind sie gefallen. Für mich. Und durchaus zu meiner Erleichterung, wie ich gestehen darf. Wenigstens mit dieser Ungewissheit ist nun Schluss.

Leider fehlte mir der Schneid eines Cäsar, den er an den Tag legte, als er den Lorbeer wiederholt zurückwies. Ich liess mich verführen. Sowie ich andere verführte. Verführung ist der unverzichtbare Klebstoff einer Diktatur. Und ja: Selbstverständlich betrieb ich Vetternwirtschaft, besetzte wichtige Schaltstellen mit Verwandten. Das ist eine rein ökonomische Angelegenheit. Familienmitglieder eignen sich deshalb dazu, weil das nötige Vertrauen bereits besteht. Man braucht keines erst mühselig aufzubauen.

Das Ganze mag funktionieren. Aber eigentlich wüsste man es besser. Auch ich. Keine Alleinherrschaft hat je Bestand gehabt. Keine. Warum sollte meine die erste sein? Das ist der Eigendünkel, auf den ich keineswegs stolz bin. Aber er wird dir auch kräftig eingeblasen. Ich höre es heute noch in meinen Ohren: ‘Wir brauchen dich. Du bist unser Mann.’ Das ist die wirksamste Verführung, die sich denken lässt, und daher die bösartigste, nämlich du seist der richtige Mann am richtigen Ort zur rechten Zeit. Der Erlöser, der Held. Dieser Verführung erlag ich, und ich kenne kein Mittel, wie man ihr standhält. Vielleicht weiss jemand eines.

Gerne würde man mich gehörnt sehen. Mit dem Teufel im Bunde. Am besten bin ich jemand, der Säuglinge zum Frühstück verzehrt. Wie könnte ich der Öffentlichkeit begreiflich machen, dass ich noch heute Schokolade auf Toast bevorzuge?

Und ja, ich tyrannisierte meine nächste Umgebung. Meinem Verfolgungswahn liess ich freien Lauf. Es hinderte mich ja niemand. Machtmissbrauch also? Ja und Nein. Jeder Diktator sieht sich irgendwann mit sich selbst allein. Das kommt daher, dass du den Kurs hältst und verschärfst. Da büsst du Freundschaften ein. Auch Familienmitglieder verschliessen sich vor dir. So eine Nichte, die mir am Herzen lag. Und all die schlaflosen Nächte fordern ihren Tribut. Und reichlich Belohnung.

Alles in allem übersah ich jedoch etwas Wesentliches: Ich war Emporkömmling und Ausländer. Ein Typus in der Geschichte, wie ich nachträglich weiss. Der Aussenseiter wird an die Spitze gelobhudelt, damit er dort mit stolzgewölbter Brust Drecksarbeit leistet. Scheitert er, dann war es der Ausländer, der Emporkömmling. Keiner von uns. Sprich von denen. Napoleon war Korse, Stalin Georgier, Hitler deutschstämmiger Österreicher, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Statt einer Verteidigung müsste ich Anklage führen, aber nicht gegen meine Richter, sondern gegen meine eigenen Leute der ersten Stunde. Doch das schickt sich nicht. Man könnte mir obendrein noch Undankbarkeit vorwerfen.

Dass ich ihrer Verführung auf den Leim kroch, nehme ich gerne auf meine Kappe. Hingegen mache ich ihnen zum Vorwurf, dass sie hinter aller Vernunft klägliche Angsthasen sind. Sie halten nichts aus. Ungeordnete  Vielfalt verschreckt sie. Ein verwöhntes Pack, das seine dumpfe Gewohnheit in Frage gestellt sieht, überfordert von sozialen Widersprüchen und schubweise in Panik versetzt, wenn eine Krise halt ihre Zeit benötigt, bis sie ausgestanden ist. Sie schreien nach einer starken Hand. Diese sensible Weicheier. Sie suchen nach einem Stachel, in den sie ihr Gift pumpen können.

Dieser Stachel war ich.

Und ich muss auch hier Verständnis üben. Der Ruf nach einer Macht, die durchgreift, hat Gründe. Macchiavelli hat nicht etwa aus blossem Kalkül die Alleinherrschaft befürwortet. Kurz, bevor er ihre Verteidigung schrieb, war er gefoltert worden. Von Schergen der Medici. Wenn du an deinen rücklings zusammengebundenen Handgelenken hochgezogen wirst, wünschst du dir, es möge einer hereinkommen, der mit einem Schlag dem Ganzen ein Ende bereitet. Ohne den Betroffenen Gehör zu verschaffen, ohne mit ihnen zu debattieren. Auch ohne dass er erst Ämter um Erlaubnis ersuchte oder eine  Vernehmlassung zu seinem Eingreifen durchführte.

Im Herzen einer Diktatur pulsiert die Überlebensangst eines ganzen Haufens von Menschen, genannt Volk. Ein schon beinah altmodisches Wort.

Ich war eben einfach der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort.