Wir suchten eine Inselidylle und klösterliche Einkehr auf der Rheinau übers Wochenende. Doch wir fanden keins von beidem.

Das Personal beim Empfang blickte öfter in Bildschirme als in Gesichter von Gästen. Wie ich hinzutrat, schimpfte jemand, da habe ihnen ein Gast doch tatsächlich etwas kaputt gemacht. Die gleiche Anspannung auch in der Klosterschenke. Mit viel Bedauern störte eine Bedienstete vom Buffet den Koch, der schwarz gewandet an einem der Tische sass. Dort verbrachte er seine Zimmerstunde, die zu Minuten geschrumpft schien. Sein Schwarz mochte erlesen modern sein, es wirkte dennoch befremdlich, sicherlich auch deshalb, da er aus seinem bissigen Zorn keinen Hehl machte. Der Gönner und Stifter dieses Orts, aus dem Pfarrhaus von Neuhausen stammend, schien allem seinen Stempel aufzudrücken: Leistung, Sparsamkeit, Ökonomie. Perfekte, schmucklose Einrichtung. Auch Künstler haben gefälligst einträglich zu wirtschaften. Das Privileg schöpferischer Verschrobenheit gilt für sie nicht mehr. Zumindest an diesem Ort nicht. Der neue Schutzheilige ist nicht mehr Maria oder Christopherus, sondern Calvin.

Man möchte umherschweifen an diesem Ort und dem Rhein lauschen, wie still er fliesst. Eine beinah stehende türkisfarbene Kraft. Die gelben Blätter auf dem Wasser blieben an Ort, so langsam floss er. Doch überall in der gesamten Anlage waren Tore verschlossen, die dahin geführt hätten. Sogar die Kirche war zu. Nur eine Schleuse führte in den Trakt für Musiker und Chöre. Somit standen mir ausschliesslich die Wege offen, die der privaten Begleitung einer Sängerin hier auch zugedacht waren.

Pünktlich schwärmten die Chöre durch jene Schleuse herein. Dirigenten und Chorleiter warteten wie Kellner vor ihren Zellen, die ihnen zur Probe zugewiesen waren. Ein Gewusel auf den Gängen von wenigen Minuten, dann schlossen sich die Türen. Es wurde still. Nur gedämpft war alsbald erste Musik zu hören. Die Räume waren voneinander abgeschirmt. Brutstätten für Kunst. Zellen, die sich schliessen, damit darin etwas passiert. Am Empfang gleich bei der Schleuse blickten sie weiter in Bildschirme. Der Betrieb lief reibungslos.

Hier wollte ich lesen, schreiben, am Brutgeschehen teilhaben. Doch es trieb mich fort, aus dem Kloster hinaus und weg von der Insel, hoch aus dem Flusstal, am Wehr vorbei unmittelbar zur Psychiatrie, wo ich wieder eine Anlage vorfand, die aus Zellen bestand. Die Ärztehäuser mit ihren englischen Fassaden. Ein Hinweis auf England als die Wiege aller Rationalisierung und Industrialisierung. Weiter gab es eine Art Kappelle und freilich die Patientenhäuser und der Trakt zur Verwahrung von Härtefällen unter Straftätern. Zellbetriebe kennen wir viele: Klinken, Schulen, Fabriken, Kasernen. Letztlich eben die Klöster, mit denen diese Sache begann. Brutstätten, die voneinander abgetrennt sind und dennoch dem gleichen Befehl unterliegen. Oder sie folgen derselben Idee oder demselben Anliegen. Werkstätten, Therapieräume, Schreibstuben, Gefängnisse.

Im Park zwischen den Trakten der Klinik standen Kunstwerke verstreut. In Holzstämme geschnitzte Figuren, die allesamt Wasser zum Thema hatten: Seepferdchen, ein Mensch im Kopfsprung, Nixen, Anker mit Kette, ein Schwan. Auch die Titel der Werke verwiesen auf Wasser, aber ich vergass sie zu notieren.

Da stiess ich auf einen Weg, der aus gebrannten Kacheln ausgelegt war. Die Kacheln stammten von Patienten der Psychiatrie. Sie hatten Motive eingeritzt, die von ihrer Krankheit handelten. Da gab es Schneckenhäuser, Labyrinthe, Zwillingskonzepte wie Doppelköpfe oder zwei Vögel, die spiegelbildlich einander zugewandt waren, mit Antennen oder Krönchen auf dem Kopf. Aber es gab auch Spielkonzepte, wie Drei gewinnt im Kleinstformat oder ein kleines Leiterspiel. Die Kacheln erinnerten mich wiederum an Zellen. Als suchten diese Menschen, die mir unbekannt bleiben würden, den Schlüssel zu den innersten Zellen ihrer Person.

Denn da drin wird nicht nur Kunst ausgebrütet. Das belegte der Verwahrungstrakt der forensischen Psychiatrie, mit seinem hohen Schutzverhau und den schlitzartigen Scharten statt Fenstern.

Am Wehr vorbei kehrte ich zum Kloster zurück. Die technische Anlage mutete keinesfalls romantisch an, dennoch standen zu meinem Erstaunen auf beiden Seiten des Flusses Sitzbänke unmittelbar beim Wehr, sodass man nach einem ausgiebigen Spaziergang verweilen und das dosiert fallende Wasser in seinem gleichförmigen Rauschen geniessen konnte.

Also erneut das Wasser. Die Menschen wollen fliessen. Zu sich selbst nach innen. Aber eine Durchmischung wird vermieden, indem man sich in Zellen einstülpt, die Störendes fernhalten, damit etwas Reines, Einzigartiges entsteht. Die Chöre blieben schalldicht voneinander abgetrennt. Auch psychiatrische Praxen sind mit schalldichten Türen versehen.

Eine Durchmischung stiftet ein Durcheinander. Das dürfte naturgemäss zutreffen. Gewisse Anliegen werden dadurch im Keim erstickt. Sie benötigen Abschottung. Für gewisse Zeit.

Der Fluss vereint alles, Zellen sortieren durch Abtrennung.

Und es kam mir vor, als stiege ich in die Feuchte des Flusstales hinab, in ein Meer erhöhter Luftfeuchtigkeit, am Christopherus vorbei, der gleichfalls eine Wasserfigur darstellt, zu den Unterwasserzellen des Klosters zurück, durch die immer gleiche Schleuse in meine Zelle, wo ich eine Dusche nahm und dazu die Kabine betrat und hinter mir schloss, mich also in einer Brutstätte zur Körperhygiene erging.

In einer Zelle in einer Zelle von Zellen, während draussen kaum merklich das Rheinwasser vorbeiglitt.