Will man Kinder oder Jugendliche in ihrem Verhalten dauerhaft ändern, macht man sie entweder scheu oder süchtig nach Lob.  Leisten sie in beiden Fällen Widerstand, kommt Verzweiflung auf. Die gleiche Frage betrifft politische Herrschaft. Wie verändert man die? Durch Gewalt? Dann krallt sie sich erst recht fest. In Russland finden sich zwei Beispiele, die mir vorbildhaft scheinen. In beiden Fällen geht es um angewandte subversive Vernunft als zuverlässiges Mittel, wenn sich ein missliebiges Verhalten ändern soll.

Der russische Lyriker Joseph Brodsky war politischer Häftling in einem Gulag in Sibirien zur Zeit der Sowjetherrschaft. Irgendwann erhielt das Lager wie so oft zu viel Brennholz auf einmal zugestellt, sodass der ganze Innenhof mit mächtigen Sparren besetzt war. Die Lagerleitung beschloss wie immer, ein Wetthacken durchzuführen. Die Preise waren bescheiden, für Häftlinge reizvoll genug, wie zusätzliche Rationen Kaffee oder dergleichen. Brodsky erzählt, Widerwillen hätte sich unter ihnen breit gemacht. Sie fühlten sich gedemütigt, gingen nur halbherzig zur Sache, sodass Druck gemacht wurde. Da griff einer zur Axt und fing an, wie verrückt zu hacken. Und er hörte nicht damit auf, liess das Essen aus, hackte bis tief in die Nacht hinein. Auch als Wärter ihn bedrängten, er solle aufhören, liess er nicht davon ab. Irgendwann, vielleicht in frühen Morgenstunden, warf er das Werkzeug hin und legte sich schlafen.

Seitdem gab es kein Wetthacken mehr.

Dieser Mann, wahrscheinlich Brodsky selbst, hatte sich zwar dem Befehl unterworfen, die Angelegenheit jedoch übertrieben. Genau das ist mit subversiver Vernunft gemeint. Damit der Gegner sein Verhalten ändert, übernimmst du sein Anliegen und übertreibst es derart, damit der Unsinn, an dem du dich störst, auch für den Gegner sichtbar blossgestellt wird.

Ein Zwischenbeispiel: Stockhausen nannte 9/11 ein ästhetisches Verbrechen. Das musste er zurücknehmen, die Empfindlichkeiten untersagten diese Sichtweise. Einerseits meinte er die Symbolkraft dieses Ereignisses, andererseits die verblüffende Ökonomie, dass mit geringstem Aufwand ein höchstmöglicher Ertrag erzielt wurde. Jemand beklagte Zensur in dieser Sache. Ein Gesprächspartner hielt subversiv dagegen und fragte ihn, ob er die Möglichkeit sehe, auch Babyficken für ein ästhetisches Verbrechen zu halten, allerdings unabhängig von Effizienz und Symbolkraft, jedoch bei hochgradiger Empfindlichkeit unter den Menschen. Natürlich nicht, und so fort. Dann muss man neu aufrollen, warum er die rote Linie dort zieht und bei 9/11 nicht.

Ein anderer Russe, der Künstler Pjotr Pawlenski machte sich auf dem Roten Platz fest, indem er einen Nagel durch die Hautfalte seines Hodensackes in eine Lücke zwischen die Kopfsteine trieb. Ein anderes Mal liess er sich dort wiederum nackt in Stacheldraht gewickelt ablegen. Es fällt leicht, sein Vorgehen krankhaft zu finden. Dabei ist der Tatbestand subversiven Vorgehens beispielhaft erfüllt. Das Anliegen in der Ära Putin richtet sich offenkundig darauf, dass die Freiheit des Einzelnen beschränkt sein soll. Das passendste Symbol dafür ist das Gefängnis. Pawlenski nun übernimmt dieses Anliegen und übertreibt es, indem er sich am Boden dieses Käfigs auch noch fixiert. Oder seinen Körper, der schon gefangen ist, mit Stacheldraht umhüllt.

Ob in Kinderstuben oder in der Politik, es empfiehlt sich subversiver Widerstand. Dieses Vorgehen ist intelligent und treffsicher.

Und vor allem gewaltfrei.