Wenn ich in Städten ausgetrampelte Abkürzungen antreffe, fotografiere ich sie sofort. Auf Parkplätzen, im Aufmarschgebiet rund um Brücken oder Warenhäusern, überall, wo man Passanten zu Fuss mit Schildern und Schranken so leitet, dass Ordnung und Sicherheit gewährleistet sind. Nun habe ich schon eine kleine Sammlung beisammen. Mir gefallen diese Abkürzungen, weil sie so direkt verlaufen, so roh, stur, so natürlich. Vor allem sind sie ein Gemeinschaftswerk ohne Absprache.
Es sind rohe Spuren des natürlichen Menschen, beschränkt aufs Nötigste, kein Asphalt, keine Pflastersteine als Saum wie bei zivilisierten Wegen. Wer solche Abkürzungen bei Regen eilends nutzt, bekommt schmutzige Schuhe. Sie verlaufen direkt, ohne designorientierte Umschweife. Mir fällt der serbische Filmemacher Kusturica ein, der seine Charaktere dauernd Abkürzungen nehmen lässt, wenn es darauf ankommt. So steigen sie immer wieder über Tische hinweg.
Diese Unmittelbarkeit macht uns Mühe, wenn es um Autobahnen geht oder um Bauhaus-Architektur. Dabei verliefen die Trampelpfade des Mittelalters nicht anders. Der Rechte Winkel, die klingenscharfe Gerade sind für mich genauso natürlich wie knorrige Kartoffeln. Wie ausgetrampelte Pfade.
Die Direktheit ist natürlich, weil sie ökonomisch ist.
Überall, wo es zu solchen Trampelpfaden kommt, hat das urbane Design versagt. Offensichtlich geht es nicht auf Tuchfühlung zur Fussgängerschaft, die von seinen Entscheiden unmittelbar betroffen ist. Seine Funktionäre führen ein paar Umfragen durch, wohl um der politischen Korrektheit willen. Es gelten andere Massstäbe. Zum Beispiel Leitsätze konkurrenzierender Städteentwicklung, aber auch schlicht Gründe der Rationalisierung, etwa wenn Einsparnisse anstehen. Das kommt mir bekannt vor. Manche Firma pflegt Null Kontakte zu ihrer Basis, trotz öffentlicher Empfehlung von Google. Die Politik überhaupt hat globale Winde eher im Ohr, als das Wissen einfacher Menschen vor Ort.
In Kreuzlingen hat es einen Flecken Wiese, mit drei Bäumen und einem Abfalleimer, der von Gehwegen und Quartierstrassen eingefasst ist. Dort rasten oft Asylanten aus Afrika. Folgsam entsorgen sie ihren Müll in dem Eimer, sodass er förmlich überquillt. Der Anblick wirkt barbarisch wie zivilisiert zugleich, sodass es einem dämmert, wie unsinnig dieser Gegensatz wohl ist. Diesen Ort nenne ich für mich Klein Afrika. Mitten hindurch führt ein solcher Trampelpfad zur Abkürzung, der aber nicht von den Afrikanern, sondern von hiesigen Passanten angelegt wurde. Also von uns.
So haben auch wir unser Klein Afrika.
In uns.
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