Es zählt als Meisterleistung der Aufklärung, dass sie mit Lügen in der Erziehung aufgeräumt hat. Wir lachen über den Daumenschneider, der dein Lutschen bestialisch bestraft. Genauso über den Crampus, der dich bei schlechtem Benehmen holt. Oder darüber, dass bei Selbstbefriedigung das Rückenmark faulen soll. An Stelle dieser alten Lügen sind allerdings neue getreten.

Eine alte Lüge hat sich gehalten, nämlich das strohdumme Sprichwort davon, dass Hans nicht mehr lernt, was Hänschen versäumte. Daran zeigt sich die Aufgabe von Lügen in der Erziehung: Sie bauen Druck auf, wobei die natürliche Unwissenheit Heranwachsender schamlos ausgenutzt wird. Somit ein Naturrechtsbruch.

Eine neue Lüge bekommen Kinder und Jugendliche laufend zu hören, nämlich: Du lernst nur für dich selbst.

Zwar wird damit die moderne Selbstbestimmung auf den Punkt gebracht. Daher versteht sich diese Einstellung wie von selbst. Richtigerweise müsste es heissen: Du lernst für andere. Dazu gehört die nötige Kehrseite: Die anderen lernen für dich. Zumindest solange wir in einer Gesellschaft leben, die Steuern erhebt und Überschüsse weitgehend umverteilt. Der Beruf, den wir ergreifen, mag viel mit unserer Person zu tun haben. Jede berufliche Tätigkeit liest sich als Dienstleistung für andere, jede bildet ein unverzichtbares Rad im Gesamtgetriebe Gesellschaft.

Mit der Aussage, wir lernten nur für uns selbst, werfen wir Heranwachsende auf sich zurück. Man nehme die Kälte wahr, die Lieblosigkeit und letztlich die Feigheit, dass man sich so wunderbar aus der Affäre stiehlt und überdies als aufgeklärter Erzieher dasteht.

Die Ansicht, wir lernten in erster Linie für andere, halte ich für wirklichkeitsnah. Bei der Lüge wird mehr Idealismus aufgeboten. Dein Versagen vor dir selbst als eine Art neuer Crampus oder Daumenschneider.

Nebenbei erklärt die Position, die ich vorschlage, warum die Staatsschulen  gegenüber reformpädagogischen Schwärmereien immun sind:

Sie haben zunächst die Gesellschaft im Blick, das einzelne Kind nicht. Jedenfalls nicht an erster Stelle. Darum heissen sie Volksschulen.

Oder hiessen so.