Nur zu gerne würde ich Pendeln, Kartenlesen, Astrologie oder Sheng-Pfui als Humbug abkanzeln, aber es gibt mindestens zwei Argumente, die mir im Weg stehen.
Erstens sind solche Praktiken uralt. Das allein ist noch kein Argument. Die damaligen Völker kamen, im Vergleich zu heute, in höchsten Nöten mit dürftigen Mitteln zurecht. Auf diesem Hintergrund ist es kaum einsichtig zu machen, dass sie Brauchtümer oder Praktiken pflegten, die zu nichts taugen. Bauern zum Beispiel lassen ein Werkzeug sofort fallen wie eine heisse Kartoffel, wenn es immer wieder versagt. Die Frage, warum sie taugen, stellt sich nicht, solange sie in Notlagen hilfreich sind.
Wer esoterische Praktiken abweist, muss eine Antwort auf die Frage geben, wie es gekommen sein könnte, dass solche Praktiken von diesen Völkern nicht nur gepflegt, sondern auch von Generation zu Generation überliefert worden sind. Bei Untauglichkeit wäre das schlechthin widersinnig.
Die Lehre von Wind und Wasser, sprich Feng Shui, mag heute zu einem Lifstyle verkommen sein. Aber ich werde stutzig, wenn ich höre, dass ein einfacher chinesischer Bauer zu Zeiten der Jin-Dynastie sechs Stäbchen wirft, damit er in Erfahrung bringt, wann er aussähen oder ernten soll. Auch stimmt es mich nachdenklich, dass er seinen Hof gemäss Feng Shui einrichtet und ihn danach führt, wie es schon seine Väter taten, ohne dass eine Öffentlichkeit da gewesen wäre, die ihn dazu ermuntert hätte, damit Geld zu verdienen.
Wie überhaupt soll Esoterik auf dem Markt derart bestehen, wie es der Fall scheint, wenn sie zumindest im Ansatz nicht hält, was sie verspricht? Die gängige Antwort lautet: Die Leute glauben halt daran, darum gelingt die Sache immer wieder. Durchaus interessant, finde ich, dass in Zeiten von Aufklärung und Wissenschaft dem blossen Glauben eine derartige Wirksamkeit zugerechnet wird. Der Glaube versetzt also nicht nur Berge, sondern lenkt sogar die Geschicke unter Menschen.
Das Stichwort Lifestyle führt zum zweiten Argument: Eine Bekannte gesteht bei Oliven und Rotwein, sie lege seit Jahren Karten, wann immer es ihr angesagt erscheine. Und sie meint entschieden wie selten, die Karten stimmten immer, sie lügten nie. Abstrichlos. Auch hier fehlt eine Öffentlichkeit, die sie anders reden liesse, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Die Frau lebt ein gewöhnliches Leben, sie missioniert nicht, drängt sich niemandem auf, hat sich keinen Sanskrit-Namen verpasst wie Prapabundla oder so. Auch nimmt sie Worte wie ‘immer’ oder ‘nie’ sonst nur mit Bedacht in den Mund. Trotzdem könnte sie, was Esoterik betrifft, einer heillosen Romantik anhängen. Also frage ich nach, wie man belegen könnte, dass die Karten richtig liegen. Ganz einfach, antwortet sie. Es gäbe Fälle, wo man um keinen Preis für wahr haben wolle, was die Karten voraussagten. Wenn zum Beispiel, je nach Frage, die fünf Kelche aufgedeckt würden, der Gehängte oder die Schwert Zehn. Wie bekannt vermelden die Karten ja nicht nur Rosiges. Der Beleg sei in dem Moment erbracht, wo man die Botschaft verdrängt und vergessen hat, sie sich dann aber doch bewahrheitet. Das sei ihr öfters passiert und einzig und allein deshalb schwöre sie insgeheim aufs Kartenlegen.
Manche weisen esoterische Praktiken deshalb zurück, weil nicht zu erklären ist, wie sie funktionieren. Bei der Schwerkraft stört uns das nicht. Doch selbst Newton soll das Geheiminis anerkannt haben, warum Körper in völliger Leere einander anziehen, ohne dass etwas dazwischen läge, das diese Kraft übermittelte.
Über die Jahrhunderte hinweg hat sich immer wieder bestätigt, dass Menschen mit Schwermut in ihrem Horoskop einen spannungsgeladenen Saturn aufweisen, dass er also zum Beispiel im spitzen, langschenkligen Dreieck andern Planeten gegenübersteht. Eine blosse Korrelation also. Da muss man sich leider sagen lassen, dass die Wissenschaft sehr oft nicht anders verfährt. Sie nimmt blosse Korrelationen, wenn zwei verschiedene Datenkurven gleichlaufen, als offenkundigen Zusammenhang. Es fällt auch schwer, das Gegenteil anzunehmen. Genau wie Esoteriker in früherer Zeit gehen wir so vor, damit etwas getan werden kann. Erfolg und Misserfolg weisen den weiteren Weg, genau wie in der Geschichte der Esoterik. Wir können einfach nicht untätig darauf warten, bis etwas bestätigt wird.
Es heisst dann richtigerweise, bei unbestätigten Korrelationen sei dieses oder jenes häufig so oder so der Fall, aber nicht immer. Also nicht notwendig.
Genauso reden Astrologen: Bei Menschen mit Schwermut regiert häufig ein spannungsreicher Saturn.
Der Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend, von Haus aus immerhin Physiker, verteidigt die Möglichkeit, die Astrologie könnte richtig liegen, mit der Tatsache, dass Planeten und Sonnen von so genannten Plasmen umgeben sind [p 16], also Elektronenwolken, die sich überlagern. Auch führt er Kepler an, der aus Sicht der Wissenschaft die Astrologie erledigt haben soll, tatsächlich verteidigt er sie in einer Schrift mit dem Titel «Warnung an die Gegner der Astrologie» [Ebd. p 15].
Radioastronomen wenden ein, dieser kosmische Einfluss sei laut ihrer Messresultate verschwindend gering. Sie vertrauen also ihren Geräten, nicht aber der Empfindlichkeit von Menschen. Dafür haben sie gute Gründe. Aber ihr Vertrauen ruht gleichfalls auf Menschen. Nämlich auf den Ingenieuren, die ihre Geräte erst kalibrieren und regelmässig warten.
Bei aller Aufklärung können wir uns letztlich doch nur auf unsere Erfahrung verlassen. Einerlei, wie die Dinge zusammenhängen, oder wie sie zustande kommen.
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