Es gibt Fernsehkanäle, die von einer Handvoll Sendungen leben. Allesamt Realityshows. Wir hungern nach dem echten Leben. Bekommen wir es tatsächlich zu sehen? Bauer sucht Frau, Bachelorette sucht Mann, Rosenkavalier sucht Frau. Ein Koch mit mehrfacher Auszeichnung testet Gaststätten in Schieflage. Unser Hunger nach Echtheit zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Kamera unmittelbar auf das Gesicht der Person hält, die von einer heiklen Wendung der Geschehnisse überrascht wird. Seien es knifflige Fragen, denen sie sich unerwartet ausgesetzt sieht, oder wenn sie eine Antwort bekommt, die sie bitter enttäuschen muss. Glückliche Gesichter, von Glanz und Glitzer eingefasst, wecken nach Jahrzehnten von Hollywood und Bollywood zurecht Misstrauen, was die Wahrheit dieses Ausdrucks anbetrifft.

Eine Enttäuschung bietet mehr Echtheit.

Der Verdacht, die Shows verliefen nach Plan, dürfte bei einem Produkt mit derartigen Einschaltquoten von selbst einleuchten. Was jedoch Authentizität angeht, um diesen umständlichen Ausdruck modehalber ins Spiel zu bringen, sind Steuerung und Planung ohne Belang, denn nach meiner Erfahrung verzerrt die blosse Anwesenheit einer Kamera jede Echtheit.

Vor Jahren, als ich meine Freizeit noch als Laiendarsteller verlustierte, wurde uns ein Student angekündigt, der eine Dokumentation zu Probearbeit und Aufführung zu drehen gedachte. Wir nahmen das ohne viel Aufregung zur Kenntnis. In den Pausen verstoben wir gerne in alle Richtungen, wobei die Sofagruppe natürlicherweise die Mitte der sozialen Schwerkraft bildete, sodass man immer wieder dahin zurückkehrte. Sonst vertraten die einen sich draussen die Füsse, andere hockten an die Bar, wieder andere fläzten im Gestühle des Publikums herum oder eilten zum Bahnhof für Brötchen oder Zigaretten. Echtes Leben also, das von der Kamera eingefangen werden sollte.

Da traf der Student ein. Ausgerüstet mit Schulterkamera und angefügtem Mikrofon wäre er eigentlich bestens gerüstet gewesen, die bunte, sprunghafte Lebendigkeit in den Kasten zu bekommen. Wie er jedoch in der ersten Probepause sich uns filmend näherte, sassen wir alle auf den Sofas und bewegten uns kaum, schön brav aufgereiht, wie Hühner bei Regen.

Vom echten Leben keine Spur. Wie ein scheues Tier war es augenblicklich verschwunden.