Bekenntnisse zur Vielfalt drücken sich in bunten Farben aus: Multikulti, Multigender, Frieden unter Menschen. Nimmt man jedoch die Palette in Augenschein, fällt auf, dass die Farbe Braun fehlt. Das erklärt sich von selbst. Braun steht für Gleichschaltung. Also für das Gegenteil von Vielfalt. Ein Chor zum Beispiel, der ernste Literatur pflegt, nimmt gewiss keine Mitglieder auf, die am liebsten Schlager trällern.
Eine Politik für Vielfalt kann aber keinen Verein bilden, da Vielfalt eben keine Auswahl darstellt. Ihr Anspruch gilt weltweit und durch alle Gesellschaftsschichten hindurch. Eine Politik der Vielfalt kann sich nicht auf Nationen oder auf Gruppen beschränken.
Deshalb müsste sie auch die Farbe Braun in ihrer Palette führen.
Ich höre ein derart entschiedenes Nein erschallen, dass ich nachdenklich werde. Vielfalt ist auf Toleranz angewiesen. Gleichschaltung steht für Intoleranz. Wenn man nun Intoleranz toleriert, versündigt man sich wider den Geist, heisst es. Demnach kann man Intoleranz in keinem Fall tolerieren. Dabei tun wir das laufend. Tolerieren bedeutet nämlich, dass wir etwas geschehen lassen, ohne es gutzuheissen. Toleranz ist nur die hässliche Schwester der Anerkennung, der Akzeptanz. Die grundsätzliche Verneinung, dass man Intoleranz toleriert, wirkt doch sehr festgefahren. Das mag für Idealisten Gültigkeit haben, die gut versichert sind. Sonst wären sie keine. Ihnen fehlt der Sinn für konkrete Abläufe.
Denn jemand ist intolerant, da er in eine bestimmte Situation geraten ist, die sowieso nicht die gleiche bleiben wird. Das kann ich doch geschehen lassen, ohne es anzuerkennen. Ich muss es ja, weil mein Einfluss ohnehin gering ist. Intoleranz hat demnach mit bestimmten konkreten Abläufen zu tun und nicht mit einer starren Logik, die all dem übergeordnet wäre.
Was Tagespolitik angeht, verschreibe ich mich lieber einem historischen Materialismus. Oder besser gesagt einem gegenwärtigen: Wie kann man Toleranz erwarten von jemandem, der sein Haus verloren hat, weil Tricksereien im Finanzwesen gang und gäbe sind? Wie Toleranz von jungen Muslimen, die wir in Europa durchwegs nicht haben wollen, auch wenn sie Alkohol trinken und Sex vor der Ehe haben? Wie Toleranz von so genannt einfachen Leuten, die von heute auf morgen ihr Grundverständnis von einer blossen Konsumgesellschaft in Frage gestellt sehen? Wie Toleranz von Bürgerschaften, denen keine Möglichkeit zur Mitbestimmung gegeben ist? Die kniffligen Sachverhalte des Zusammenlebens sehr wohl verstehen, aber die Sprache nicht, die darüber öffentlich benutzt wird und ihnen codiert erscheint und von Fachbegriffen derart durchsetzt, dass sie tatsächlich mit ihren wunden Gefühlen alleine bleiben und vor sich hin brüten, bis ihnen der Geduldsfaden reisst?
Diese Menschen leben alle auf dem gleichen Planeten.
Das ist die entscheidende Prämisse, die zur Folgerung zwingt, dass eine Politik der Vielfalt auch ihre eigene Feindschaft mitzuberücksichtigen hat.
Das Braun gehört dazu. Auch wenn es an Scheisse gemahnt. Sonst ist die Politik der Vielfalt keinen Deut besser als der amerikanische Prärieliberalismus, wonach die weiterziehen sollen, denen es irgendwo nicht passt.
Nur so ist sie konsequent in ihrem Anliegen.
Als wäre damit eine weltliche Fassung von dem gefunden, was der Nazarener lehrte: Liebe deinen Feind, und so fort.
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