Immer wieder zeigt man sich darüber bestürzt, dass verständige Menschen dauerhaft Mitglied einer Sekte werden. Dieser Widerspruch setzt uns zu. Er lässt sich nur aus der Welt schaffen, wenn man annimmt, eine Gehirnwäsche trickse den gebildeten Verstand aus. So einfach wäre das. Doch genauso bestürzt bin ich darüber, wie sehr wir andere Personen auf Kopf und Verstand verkürzen. Dabei wüssten wir es besser. Schliesslich halten wir unser verzwicktes Innenleben vor anderen verborgen wie gebrauchte Socken im Wäschekorb.

Wir verkürzen oder vereinfachen die Dinge aus Gründen intimer Ökonomie. Ausserdem hat man uns eingeschärft, wir dürften nicht von uns auf andere schliessen. Dennoch gibt es Fälle, wo wir das tun müssen, sonst wird kein Verständnis möglich. Vorgefasste Ansichten verhelfen uns zur Bekanntschaft mit einem fremden Stück Welt. Das sagt die traditionelle Lehre des Verstehens. Vorurteile stören nur, wenn wir damit andere Menschen auf Abstand halten.

Auch gebildete Leute, so dürfte es wenig verwundern, sind von Schuld belastet. Auch sie werden von Reue gepeinigt. Eine Hölle für jeden, wenn Möglichkeiten zur Wiedergutmachung schlicht vertan sind. Kein Kopf, kein Verstand verwindet diese Qual derart, dass man nachhaltig erfrischt durchs Leben zieht. Was diese Leute in Sekten abbekommen, ist keine Gehirnwäsche.

Sondern etwas viel Besseres: Nämlich Herzwäsche. Und sie durchlaufen sie immer wieder bewusst und in treuer Gemeinschaft mit anderen, denen es gleich ergeht.