Es ist, als bräche der Wohlstand einfach weg, sobald man die Autobahn auf Höhe Belleville ins Land verlässt. Der McDonald an der Ausfahrt lädt zu rascher Verköstigung ein. Als käme nachher nichts mehr.

Keine Gehsteige, keine gepflegten Ränder den Strassen entlang. Überall an den Hauswänden Algen und brüchiger Putz. Verwitterte, bemooste Mauern wohin man blickt. Immerhin erleichtert man sich hier gegenseitig vom Zwang zu bürgerlicher Perfektion.

Landflucht, seit Jahren. Ein Sog geht von den Städten aus. Als Schweizer, der in den immer gleichen Nischen lebt, macht man sich keinen Begriff davon, was es heisst, wenn die Nachbarschaften ausdünnen. Gerüchte von neuen Abzügen machen die Runde. Läden gehen ein. Billige Grossverteiler bilden ein Industriegebiet der eigenen Art.

Die Hotels, kitschig überzeichnet wie in Griechenland, sind geschlossen, die Schilder abmontiert. Selbst die vergoldeten Sprossen in den Fenstern locken niemanden mehr an. Das mittelständische Bürgertum ist seit Jahren ausgeblieben. Früher kreuzte es hier regelmässig auf. Mit karierten Hosen und ersten Rollkoffern. Man befand sich auf Bildungsreisen, ins Burgund und dessen Umland. Kirchen, Klöster, Trutzburgen. Jahreszahlen, Anekdoten. Wer grobe Eckdaten herzusagen verstand, galt für gebildet.

Und immer wieder der Wein und das erlesene Vokabular seiner Geschmäcker.

Die Wälder hier sind im Privatbesitz. Sichere Rücklagen für viele, die auch gehörig angezapft werden: Lücken und Schneisen durchziehen die Baumreihen. Sie bestehen aus schlanken, hohen Pflanzungen, die sich bestens für Bretter eignen. Auch Tannen schiessen hoch. Sie bringen rasch Geld ein.

Wer in dieser Gegend zurückbleibt, sieht sich zum Verlierer gestempelt. Und die Aussteiger, die hier ihre Wochenenden verbringen, pflegen kaum Kontakt zu den Einheimischen. Denn wer freiwillig hierherkommt, hat bessere Wahlmöglichkeiten.

Und verfügt gewiss über eine sichere Pension.

Auch die Metzgerei, die wir aufsuchen, soll bald schliessen. Ganze Hühner mit Krallen werden feilgeboten. Der Hals gequetscht, der Kopf blutunterlaufen. In den Weinkeller steigen wir wie in eine Gruft. Ein bärtiger Bacchus grinst in Stein gehauen, während die hochschwangere Winzerin zur Degustation ausschenkt. Ein paar Jungs feiern Polterabend. Der Bräutling steckt im Leopardenkostüm.

Und auch das Weingut steht zu Verkauf.

Nachts im unbeleuchteten Garten. Das Tal ist ohne Empfang. Im Gestrüpp modert eine Gartenbank. Man fühlt sich in diese Landschaft wie in ein riesiges, schwarzes Moos gebettet, das von politischer Hektik und wirtschaftlichem Betrieb umflutet wird.

Am nächsten Morgen fahren wir zurück. Wo die Strasse die Talsohle passiert, stand einmal ein Pferd im Sumpf, wie ein Freund erzählt.

Das Bild fasziniert mich. Genauso sie wie der Anblick des McDonald in Belleville, der inzwischen abgebrannt ist.