Zu Fuss in Singen bog ich in eine Unterführung Richtung Industriegebiet ab. Ich machte mich auf eine dunkle, versiffte Passage gefasst. Mit schlechten Graffitis, mit Uringestank. Es kam schlimmer. Der Bereich erstrahlte vor gnadenloser Zuversicht: Ein hellgrün bemalter Boden, an den Wänden frisch gestaltete Szenerien vom heldenhaften Bündnis zwischen Mensch und Technik: Schon der Pfahlbauer schwingt die Fackel in Richtung Zukunft. Über seinem Kopf prangen vielsagend Orion und die Scheibe von Nebra. Die Baumeister Ägyptens strecken uns Senkblei und Zirkel entgegen. Sie wissen Bescheid, sie weisen den Weg. Rom erscheint in kriegerischer Glorie, was sich von selbst versteht. Ungewohnt jedoch mit einer fluffigen Eule auf der Schulter, das Sinnbild für Weisheit, das eigentlich nach Athen gehört.

Der Geschichte gegenüber auf der anderen Tunnelseite zeigt sich die Gegenwart: Jugendliche planen die Zukunft und setzen sie um. Geschlechtsunabhängig tragen sie Werkzeuggürtel oder deuten auf die Pläne, die sie ausarbeiten. Mit Daumen hoch und der seit Langem gängigen Geste zeigen auch sie, wo es langgeht. Das Resultat: Futuristische Grossstädte.

Es kommt mir vor, als hätten Jugendliche Geschichte und Gegenwart gespielt, denn der typisch behelmte Römer wirkt auf den zweiten Blick zwitterhaft. Genau besehen entpuppt er sich als weibliches Model, das sich als Tribun verkleidet hat und ordentlich busig eine grazile Tanzgeste vollführt, statt die Faust zu ballen. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass mit den Pyramiden und Sphinxen eigentlich die Zukunft gemeint ist. Zwar möchte ich dem Künstler nichts unterstellen, ebenso wenig der Behörde, die ihm den Auftrag gab. Aber dieses Kunstprodukt ist aus den gegenwärtigen Verhältnissen und ihren vielfältigen Zusammenhängen in irgendeiner Weise hervorgegangen.

Man kann sagen, die Gegenwart hat es ausgeschwitzt.

In neuster Architektur jener gigantischen Anlagen, die in letzter Zeit Stadt und Land verdichten, finden sich Anklänge an das Römische und Ägyptische. Allerdings auf Umwegen, etwa über Las Vegas. Eine neue Ausdrucksform eben. Daran würde weiter nichts beunruhigen, wenn man nicht schon früher bei diesen Stilen Anleihen genommen hätte, um den Leuten begreiflich zu machen, dass radikal Neues ansteht. Das gilt für die Französische Revolution und ganz besonders für Napoleon.

Wer radikal Neues anstrengt, geht dem, was besteht, wortwörtlich an die Wurzeln. Sicherheitshalber wird alles ausgeräumt, was vorher war. Es wird umgestülpt, ausgewechselt, entsorgt.

Ich glaube nicht an radikal Neues.

Denn das Meiste, was derart in Natur und Geschichte einbricht, wird früher oder später von selbst wieder ausgeglichen. Die libertinären Fantasien von blanker Machbarkeit begeistern nicht nur Manager in ihrem ökonomischen Feldherrentum.

Sie haben auch den Irak verwüstet.

Unter Anderem.