Vater Luther verachtet den Sohn, der Mönch wird statt Kaufmann wie er. Der Sohn jedoch soll seinen Vater lieben und ehren, so das Gesetz. Wie aber kann er den lieben, der ihn verachtet? So fängt er an, Gott zu hassen, der ihm solch Übermenschliches abverlangt.

Und sogleich wähnt er sich auf der Schnellbahn zur Hölle. Wie alle damals, nach Pest und kleiner Eiszeit und doppelt gespaltener Kirche.

Sohn Luther beichtet kleinste Vergehen wider die Schrift, damit er, falls er zu Tode kommt, reinen Herzens gen Himmel fahre. Es sind Puppensünden, so der Beichtvater. Und der junge Augustiner reist mit nach Rom, wo er, statt eines himmlischen Jerusalems, Trümmer vorfindet und verschnupfte Kardinäle im Bett und einen Papst auswärts am Krieg führen.

Da liest Luther bei Paulus im Brief an die Römer 3.28, der Mensch erlange die Zustimmung Gottes durch Glauben, also abseits von Vorschriften. Und eine Erlösung ohne Beispiel kommt nachhaltig über ihn. Und er gibt sie weiter als Missionar der ersten Stunde, indem er die Aussage jener Textstelle wie folgt zuspitzt: Der Mensch, werde gottgefällig nur durch Glauben.

In dieser Zuspitzung steckt die ganze Reformation.

Zugleich zieht Rom ein Bauwerk hoch von genauso beispielloser Übermenschlichkeit, damit die Türken, beeindruckt von so viel Macht auf Vorrat, an den Toren zu Europa Halt machen. Dafür zieht Rom Gelder ein, auch vom Ärmsten, der so ein Weniges dazu beiträgt, dass er drohender Muslimisierung entgeht. Luther erhebt sich gegen diesen Betrug. Was er nicht sieht: Die Kirche betreibt Politik. Mit allen Mitteln, wie üblich in politischen Dingen.

Zugleich begehren die Herren deutscher Landen Selbständigkeit dank des neuen Reichtums ihrer Bürger und Kaufleuten. Der Schirmherr Luthers gehört zu ihnen. Und der Handel nimmt an Fahrt auf. Renditen häufen sich an: Frisches Gold aus Übersee, die Minen im Osten Europas, das praktische Papiergeld und die doppelte Buchführung. So erscheint es nur folgerichtig, dass man die Steuern nach Rom aussetzt und Reliquien für gutes Geld verkauft.

Ganze Völker und Zeitalter preisen die Reformation als Herabkunft des wahren Geistes. Mir scheint sie eher aus einem Gefüge und Geschiebe von Zufällen und Planlosigkeiten und wirtschaftlichem Eigennutz ausgeschwitzt zu sein.

Wie alles Geschichtsträchtige. Und Anderes.

So war Luthers Schirmherr als Kaiser vorgeschlagen. Dieser aber paktierte zugunsten des Spaniers Karl, damit der neue Kaiser von einem Reich mit beispiellos übermenschlicher Grösse und Zerstückelung gebunden sein würde. Zeitlebens würde er mit den Franzosen zu tun bekommen und mit den Türken und mit Belangen in Übersee, ja sogar mit dem Papst, der gegen ihn zu Felde zieht.

So war die Selbständigkeit in deutschen Landen gesichert und damit die Reformation und ihre ökonomischen Vorzüge.

Mir ist kaum ein Zeugnis bekannt, das ergreifender wäre, als die Abdankung dieses Kaisers, der sich vor aller Welt für seine vorzeitige Erschöpfung entschuldigt.