Mit unseren Idealen liegen wir selten richtig. Meist kommen wir damit zu spät. Kaum sind sie ausgereift zum Umbau der Dinge, passen sie schon nicht mehr in die Zeit.

In frühen Jahren verständigen wir uns mit Leidensgenossen über ein Unrecht, das an uns verübt wird. Da geht es meistens um Missachtung, um Demütigung. Eine ganze Generation findet in dieser Erfahrung zusammen. Und weil es so viele sind, wiegen sich alle in der Gewissheit, sie hätten Recht. Für immer! Und sie schmieden Ideale und stolpern damit in eine Gegenwart, die schon anders geworden ist.

Dazu eine Geschichte. Gustav Mahler’s Mutter, so erzählt es Percy Adlon, war immer schwanger und öfters krank. Trotz Fieberblatern und Keuchhusten bestritt sie die Hauswirtschaft unter der Fuchtel ihres Gatten, auch war sie seinen Lüsten gefügig. Für den jungen Mahler war klar, wie er seine eigene Frau einmal behandeln würde. Ein Ideal ging ihm auf wie eine Sonne: Er schwor sich, dass er seiner Gattin einmal voller Rücksicht und enthaltsam und zartliebend begegnen werde. Und zwar genau dann, wenn sie schwanger wäre und blaterig.

Das setzte aber voraus, dass diese Frau, die dann Alma heissen würde, ihre Mutterschaft ganz im Sinne der Tradition lebte. Dem Manne musste sie gleichwohl anhängen und dem Herde anhaften. Vielleicht gehört es zur Ironie des Lebens, dass Alma stattdessen liebeslustig war und angetan von Kunst und dem Jugendstil, der in Wien in voller Blüte stand. Auch drängte es sie nach künstlerischer Tätigkeit. In ihrer ehelichen Gefangenschaft gingen ihr ganz andere Sonnen von Idealen auf. Und so floh sie diese Enge, in die Mahler sie drängte, damit er an ihr seine ideale Liebe beweisen konnte. Sie war sogar bereit, ihr gemeinsames Kind tot zu wünschen für die Freiheit, die sie so sehr begehrte. Alma schreit Mahler die Wahrheit ins Gesicht, aber er hört sie nicht, sieht nur ihre Lippen sich bewegen.

Mit unseren Idealen sind wir hellhörig und taub zugleich, klarsichtig und blind.

Ein Ideal ist doch eine seltsame Ökonomie. Es ist eben zu kostbar, als dass man es sich ohne Weiteres ausreden liesse. Denn es ist ein halbes Leben.

Aber eben nur ein halbes.