Frische Luft weht heran. Das ist mir zuvor nicht aufgefallen. Ich geniesse sie lungenfüllend, als tränke ich aus einem Strom, der seit je in Wirbeln den ganzen Planeten umrundet. Seine Bläue wölbt sich über mir, leicht wolkenverhangen.
Vielleicht braucht der Schluck Luft, den ich koste, Jahre für eine planetarische Umrundung. Er steigt hoch, bleibt an Gebirgen hängen, schiesst durch Täler, zieht wie Wellen durch ganze Meere von Luftmassen.
Die Stadt, auf die ich blicke, ist von Grün durchwachsen. Vor Jahren gesetzte Bäumchen verschmelzen allmählich zu Wäldern, die ganze Quartiere ausschäumen.
Ein Wald, so denkt es mir, ist doch weiter nichts als eine Art Moos, wenn man sich die Sache aus entsprechendem Abstand vor Augen führt. So komme ich mir wie ein scheues, kluges Kleinsttier vor, das aus einer moosigen Landschaft auf diesen besonnten Platz hochgekrabbelt ist. Sehr bald würde es wieder in die feuchten Schatten seiner verwinkelten Biotope wie unter Wurzelwerk verschwinden. So natürlich erscheint mir die Stadt und mich selbst als Passanten darin.
Und ich blicke hoch: Was macht uns Menschen so scheu, dass wir andauernd unter Dächer und in Höhlungen hocken, wenn nicht diese Bläue über uns, die sich nach Orion hin öffnet und noch weiterreicht, bis zur supermassenreichen Mitte der Galaxie, verdunkelt hinter dem Bild des Schützen, und noch tiefer und tiefer. So schwimme ich, einem Trabanten der Sonne anhaftend, in seiner Noosphäre, der Schicht denkenden Lebens. In dieser Sphäre sehe ich Entwicklungsschübe anschwellen und verfallen und sich umstülpen, sobald sie an die Haut dieser Sphäre stossen, wie die Winde rund um die Erde. Eine Haut, die vielleicht poröser wird mit der Zeit und nächstes Wachstum zulässt: Gedachtes, Gefühltes über Jahrtausende hinweg.
Darin flute ich auf und ab, steige und sinke.
Und eine Art Gebet löst unhörbar meine Zunge: Selig sind die, die da fliessen.
Es gibt Leute, die in harmlosen Gewässern ertrinken, weil sie sich festkrallen und zappeln und schreien und Wasser atmen. Ein Sinnbild mit alltäglicher Bedeutung. Manche hadern weniger mit ihrem Leben, als mit einer bestimmten Vorstellung davon und können sie nicht lassen.
Nun erhebe ich mich und gehe durch den Rosengarten. Die Farben springen mich an. Bei ihrem Anblick schmecke ich flüchtige Süsse. Die Gewächse kommen von weit her: Ägypten, Persien, China. Ihre Kreuzungen lesen sich wie Meilensteine aus Chroniken ganzer Zeitalter. Manche verabscheuen diese Szenerie als künstlich, als überzüchtet: Die Ordnung der Beete, die Abstände unter den Setzlingen. Auch die Namen der Rosen, von ihren Züchtern ersonnen und auf Schildern in den Boden gesteckt, wirken überbedeutsam und deshalb faszinierend, wie das besonders Eigene im Strom des Allgemeinen bis hin zum Plakativen anstössig wirkt. Sein leichtes, bezauberndes Holpern wie bei der “Kronenbourg” oder der “Synponie”, bei der “Gela Gnau” oder der “Druschkirubra”, was Keltisches anklingen lässt.
Das Künstliche stört mich nicht. Es regt mich an. Zu uns Menschen gehört es typischerweise, dass wir bestimmte Dinge aus der Natur herauslösen. Genau wie die Rose. Wir isolieren Stoffe aus ihrem natürlichen Zusammenhang wie das parfümierte Adelige dieser Pflanzen. Auch setzen wir solche Stoffe anders zusammen, Synthetisches eben. Auch Vögel verweben nur reissfeste Halme für ihr Nest. Der Graulaubenvogel häuft Schneckenhäuser an. Eine Köcherfliege klebt Pflanzensamen und Kieselsteine zu ihrem Gehäuse zusammen. Wespen zerkauen Holz und erbrechen es als Baustoff. Nicht zu vergessen, was Termiten und Ameisen aus ihren Umwelten filtern und neu zusammenfügen.
Bienenwaben muten mich immer als etwas Künstliches an. Warum auch nicht? Diese Sichtweise gibt, sozusagen rückübersetzt, das Natürliche an unserer Synthetik zu erkennen.
Und die Rose zieht die Salze, die ihre Schönheit nähren, aus Mist und feuchtem Moder. Ein gelber, säuerlicher Extrakt gedeiht zu einer Auslese an Güte, Milde und Wohlgeruch. Sie adelt uns, wenn sie blüht und duftet und ihre Mitte entfaltet, in die wir uns gerne versenken. Aber der Kot, dem sie entstammt, eine Frühphase von Erde, bereitet uns Ekel. Ein erbärmlicher Widerspruch.
Denn Ekel verhindert Erkenntnis.
Als wollten wir nicht wirklich zur Welt kommen (David Lynch).
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