‘Wir armen Reichen! Auch das will einmal gesagt sein. Vielleicht hat sich herumgesprochen, dass es Therapeuten gibt, die nur noch Bestbetuchte behandeln. Was könnte uns fehlen, fragen Sie? Eine Menge.

Zum Beispiel die Gewissheit darüber, ob wir villeicht bloss Günstlinge launischer Umstände sind. Arme Leute Geprüfte des Lebens. Wir nicht. Sie verstehen zu überleben. Sie haben den nötigen Biss, den Schnauf, den Schneid. Wir nicht.

Falls unser Vermögen trotz exzellenter Mündelsicherheit an Börsen verdampft, falls ein bankrotter Staat es beschlagnahmt, sind wir Ungeprüfte und Stümperhafte einer allseitigen Tücke schutzlos ausgesetzt.

Zwar lässt sich mit Lehrgängen und Diplomen einiges wettmachen. Aber das geht uns kaum in Fleisch und Blut über, wie es sollte, wenn man zum Wettbewerb antritt. Keine Not spornt uns an. Dieser Nachteil  gilt besonders für Leute wie mich, die schon reich geboren sind. Mein Erbe steht mir im Weg, wenn ich in Erfahrung bringe, wozu ich bei beschränkten Geldmitteln eigentlich in der Lage wäre.

Ich weiss also gar nicht, wer ich bin.

Geld fliesst herein, wie das Wasser meines Feng-Shui-Brunnen in der Wohnung, ich gebe es aus. Es fliesst herein, ich gebe es aus. Ausgebrannt bin ich vor lauter Erfüllung. Nur Skandale retten mich, sie geben mir eine Art Ich-Gefühl.

Das Schlimmste: Wir kennen keine Sehnsucht, die eine Zukunft sinnvoll macht. Wir leiden wunschloses Unglück, allerdings in einem anderen Sinn, als ursprünglich gemeint, glaube ich.

Neureiche sind noch mehr zu bedauern: Sie müssen ihre ganzen Freunde austauschen. Echtes Vertrauen ist nur zu denen möglich, die gleich bemittelt sind. Selbst zwischen Gutsituierten und Schwerreichen kommt es so zu keinem echten Vertrauensverhältnis. Wir mimen Freundschaft mit Cognac und Zigarre. Aber es fehlt der nötige Kitt, der eine Freundschaft ungenannt verbindlich macht: Nämlich Erwartung und Zusage auf Hilfe in Notlagen. Denn für Reiche gibt es keine Notlagen. Und wenn ich trotzdem Freundschaft um der Freundschaft willen benötige, eine Schulter zum Weinen, eine ungeschönte Spiegelung meiner Person, wie ich wirklich bin, so liegt meine pure Bedüftigkeit so völlig bloss, wie der Einkauf, der auf dem Band an der Kasse vorbeizieht.

Aber wovon wir reichlich haben, das sind Verlustängste. Wer mehr besitzt, hat mehr zu verlieren.

Deshalb: Wir armen Reichen!’