Byung-Chul Han wird als neues Gestirn der Philosophie gehandelt. Dass er sich auf zwei Kulturräume versteht, ist ihm anzurechnen. Berlin im Sommer, Seoul im Winter. Man hofft begierig auf neue Einsichten. Doch Han moralisiert wie seit je im abendländischen Denken üblich. Feinsinnig, leidend, überlegen.
Seiner Ansicht nach bilden wir eine Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium. Erstaunlich, woher er das Mass dafür nimmt.
Zahlreiche Passanten stürzen sich von Seouls Brücken in den Tod. Nun wurden die Geländer mit fröhlichen Redewendungen bestückt und mit Bildern von Kindern und feinem Essen. Byung-Chul Han findet das absurd.
Die Moderne hat den sinnlichen Gefühlsmenschen schon immer verachtet. Man hält ihn für gefährlich, für unzuverlässig. Auf schlichte Reize hin kippt seine Stimmung oder hellt sich auf. Darauf wurde bei der Installation Rücksicht genommen. Ironischerweise häuften sich die Selbstmorde drastisch, statt abzunehmen. Offenbar bewirkte die sanfte, aber direkte Einflussnahme genau das Gegenteil. Diese Folge jedoch bleibt bei Han unerwähnt.
Die Leute gehen solchen Inszenierungen nicht ohne Weiteres auf den Leim. Das sollte stutzig machen. Denn Han nennt sie Zombies, sobald sie ihr Smartphone zur Hand nehmen. Im einen Fall sind sie widerstandsfähig, im anderen zwanghaft unterworfen.
In Seoul bieten sie Sterbensseminare an. Man legt sich in einen Sarg, wird beweint. Das sei hilflos, urteilt Han betroffen, auch wenn die Teilnehmer angeben, sie fühlten sich neu geboren, lebten anschliessend bewusster über längere Zeit.
Es ist eine Methode wie eine andere auch.
Han beklagt, die moderne Freiheit habe zu Selbstzwängen geführt. Das kommt mir sehr natürlich vor: Freiheit setzt voraus, dass man sich selbst vertraut. Wer Zwänge ausbildet, sucht Schutz darin.
Denn auf Zwänge ist genauso Verlass wie auf Natürliches überhaupt.
Man sollte den Menschen lieben, der sich haushaltet mit seinen Mitteln, statt ihn hilflos finden.
Selbstzwang führt jedoch dazu, dass wir uns freiwillig ausbeuten. So behalten wir Anschluss an eine durch und durch liberalisierte Gesellschaft. Das ist gewiss beklagenswert. Sobald aber eine Strömung übertrieben wird, folgt der Ausgleich auf dem Fuss und nimmt sich seine Zeit. Diese Abfolge hat sich im Vergleich zu früher verkürzt, scheint mir.
Kant sagt, der freie Wille in uns nötige unser gemischtes Bedürfen dazu, dass wir Regeln befolgen, die zugunsten aller verfasst sind. Genau genommen ist das eine Form von Selbstzwang. Zum modernen Menschen gehört Selbstzwang schlechthin. Er zwingt sich selbst, damit kein anderer es tut. Das ist Freiheit und sonst nchts. Philosophie kann das rasch einsichtig machen.
Aber Byung-Chul Han möchte nicht, dass Philosophie zur Ratgeberin herabgewürdigt wird.
Was für ein alter Zopf!
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