Den Sommer über naschten wir öfters am Brombeerstrauch. Diese Verköstigung direkt ab Natur wurde mir zu einem lebendigen Sinnbild.

Die vollen, schwarz glänzenden Beeren, die in die offene Hand fielen, wenn man leicht an ihnen zog, kamen in eine Schale und auf den Tisch. Man hätte sie feilbieten können, so schön waren sie. Andere waren angepickt und gärten leicht, oder sie waren von zartem Schimmel besetzt. Es gab Beeren, die an der Seite noch Röte zeigten, oder sie wiesen Sonnenbrand auf. Ein paar waren schon am Stiel verdorrt.

Die Beeren schmeckten keineswegs einheitlich süss, manche eher sauer oder pelzig. Eine angefaulte Frucht spuckte ich wieder aus, es blieb ein Geschmack zurück, den ich bewusster erfahren wollte, statt ihn gleich auszuspülen. Der Ekel verblasste, und ich schmeckte sandige Erde, weiter nichts.

Was sich von selbst versteht, denn Erde ist das Endziel jeder Zersetzung.

Wer vom Brombeerstrauch isst, schmeckt eben nicht nur sonnengereifte Süsse, sondern den ganzen Garten in Wind und Wetter, mit seinem Kiesgrund und dem Moder und den vielen Kleinstkadavern von Käfern und Würmern und dem Kot allerlei Getiers.

Menschen sind wie dieser Brombeerstrauch, fand ich, nicht bloss sinnbildhaft, sondern tatsächlich. Aber allzu leicht vergleichen sich Abweichler wie Bipolare, Borderliners, Aspergers oder schlicht Behinderte mit beschädigten Früchten.

Denn wenn man den Strauch wirklich zum Sinnbild nimmt, stellt die glanzvolle süsse Frucht, die eingeschweisst und verkauft wird, genauso die Ausnahme dar, wie sie doch regelmässig im Gesträuch vorkommt, sofern sie nicht zu Boden fällt und zerplatzt und ansäuert. Aber das gilt ebenso für die Abweichler. Auch sie bilden Norm und Ausnahme zugleich, je nach ihrer Häufung, die meist zufällig bedingt ist, ob die volle Sonne brennt oder ein sanfter Schattenwurf den Wuchs bedeckt, ob der Boden nährsalzig ist oder Bauschutt enthält, ob der Ort vor Wind und Hagel abgeschirmt ist oder erbärmlich blossliegt.

Abweichler unter Menschen gibt es seit je wie lädierte Früchte am Brombeerstrauch. Aber wir sehen ihre Häufung nicht, was nötig wäre, damit wir zwischen Ausnahme und Regel zuverlässig entscheiden könnten. Niemand zählt sie ab, dieser Überblick fehlt allen.

Wir tun es trotzdem, aus dem dürftigen Blickwinkel unserer Einzelfälligkeit heraus. Es fällt uns schwer, ausserhalb von Vergleich und Gewichtung zu sein, aber wir sehnen uns nach dieser leichten Gegenwart.

Denn das Leben braucht beides, bequeme Regelfälle genauso wie schwierige Ausnahmen.

Als Boten neuen Wachstums.