Meine Mutter hatte die Betten frisch bezogen, ich setzte mich auf den Rand und liess die Beine baumeln. Der Rollladen vor dem Fenster war unten nach aussen geklappt, sodass morgendliches Licht gedämpft, aber Wärme verheissend einfiel. «Jetzt ist Sommer», sagte meine Mutter.
Jetzt …
Diese Glückseligkeit im Moment kommt uns irgendwann abhanden. Wir blicken zurück, wir blicken voraus. Das Frühjahr ist ein Zeitstadium, das uns nicht nur seiner Frische wegen jugendlich anweht.
Es verheisst uns einen ganzen Sommer voller Möglichkeiten.
Schon bald gehen wir im Tau nackten Fusses. Pläne keimen auf und Vorsätze, wie wir diese Zeit diesmal verbringen werden. Baden mit anderen, Grillabende, Bootsfahrten, Flanieren an nächtlichen Meerhäfen, sich verlieben, Liebe machen im Schatten. Diesmal, so sind wir sicher, nutzen wir die Tage der Sonne und der dampfenden Regengüsse besser als zuvor. Die Kirschblüte begleitet uns durch diese Gewissheit, die uns entspannt und souverän stimmt, da wir so viel Zeit vor uns haben. Im Juni aber, nachdem auch der Apfel verblüht ist, macht sich erste Ernüchterung breit.
Es zeichnet sich ab, dass gewisse Vorhaben wohl nicht glücken werden. Was ihre Organisation betrifft, liegt eben nicht alles in unserer Hand.
Und jedes Jahr, in der Mitte des Sommers, kommt Verwunderung auf, dass die Hälfte schon verstrichen ist. Man glaubt, man habe die meiste Zeit vor lauter Gewissheit, Zeit zu haben, vertan. Das spornt an, das Glück tätig anzugehen. Oder es lähmt umso mehr.
Der Juli kocht hoch, der Wille zum Genuss kommt mit Anspannung einher und Ungeduld.
Jetzt!
Für manche erfüllt sich ein Sommer erst dann, wenn etwas in Serie geschieht: Täglich baden, mehrere Inseln ansteuern, jedes Mal bei der Liebe Höhepunkte kassieren, am besten mehrfach, drei Nächte durchtanzen. Diese Vorhaben werden allzu leicht vereitelt: Wetter, Krankheit, Unlust.
Als gäbe es ein Recht auf einen erfüllten Sommer.
Im August legt sich diese Aufregung. Man bescheidet sich mit dem, was übrigbleibt, bindet falsche Wünsche ab, damit das, womit man sich begnügen soll, mehr zu geniessen ist und mit mehr Gelassenheit.
Bevor ein kalter Regen kommt und der Tau gefriert.
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