Wer Vertrauen gewinnen möchte, befolgt ein paar Regeln, die sich bewährt haben. Sollen wir aber Vertrauen schenken, fehlt ein vergleichbares Regelwerk. Auftreten, Gepflegtheit, Wortschatz und Verlässlichkeit sind Null wert, wenn man vertrauen soll.

Das klingt einsichtig, denn Vertrauen nach Zuschnitt ist keins.

Schon hier zeigt sich der Anspruch einer Schule des Vertrauens: Vertrauen, sofern es echt sein soll, stellt keine Bedingungen. Vertrauen ist also risikobehaftet, was für viele unschwer auf der Hand liegen dürfte. Das zählt notwendig zu seiner Echtheit.

Gerade deshalb ist eine Schule geboten. Sie ist auch deshalb von Bedeutung, weil Vertrauen uns die Welt einfacher macht, wie es in einschlägiger Literatur heisst. Vertrauen bringt soweit Entlastung, dass wir uns in aller Ruhe mit sachlichen Belangen des Lebens beschäftigen können, die für sich genommen schon reichlich mehrdeutig sind und nur bedingt berechenbar.

Ein weiterer Grund, der für diese Schule spricht, scheint mir jedoch ausschlaggebender zu sein: Vertrauen bedeutet Respekt. Daran fehlt es reichlich. Umgekehrt wird Misstrauen, das meistens vorherrscht, als Verachtung, als Geringschätzung erlebt.

Auch eine Schule des Vertrauens kennt folglich Regeln. Zum Beispiel diese: Vertrauen schafft Einfachheit. Oder: Verstehe Vertrauen als Respekt.

Weiter gilt ins Auge zu fassen, dass Menschen andere zumeist nur dann wider Versprechen übervorteilen, wenn sie in Not geraten. Selten ist es der Fall, dass jemand ein Vertrauen bricht, weil er unter den Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, grosszügig und entspannt auswählt, als nähme er den Bruch beiläufig in Kauf. Zwar ändert das nichts an der Benachteiligung, die ich erleide. Aber mein Blick auf den Bruch, den ich befürchte, wenn ich Vertrauen gebe, bekommt eine andere Güte. Denn wer Menschen so sieht, geniesst ihr dankbares Zuvorkommen. Besser noch, er sichert ihr Vertrauen, auch wenn er nicht darauf abzielt, weil sie diese Achtsamkeit für ihre schwierige Person schätzen und sich erhalten wollen.

Als Regel in Worte gefasst: Du sollst, auch zu deinen Gunsten, Vertrauensbrüche milde sehen.

Vertrauensbrüche treffen uns jedoch empfindlich. Man fühlt sich in seiner Würde beschnitten. Aber was hat die Not des Andern mit meiner Würde zu tun? Wie kann ich sie darüber stellen? Vielfach, scheint mir, dienen Vertrauensbrüche zu einer Art Abfuhr von sonstiger Enttäuschung. Endlich kann man seinem gemischten Überdruss Luft verschaffen, schliesslich wurde Vertrauen schändlich ausgenutzt und man erntet Zustimmung von allen Seiten.

Als Regel: Missbrauche Vertrauensbrüche, die du erleidest, nicht als Ventil deines angestauten Lebens.

Dazu ist es unabdingbar, dass man sich in seinem Leben wohl fühlt. Und in der eigenen Person. Aber da steht einiges auf dem Spiel: Emporkommen, Vermögen, Rollenerwartung, Kontakte. Früher Versorgung, Schutz. Vertrauen können wir nur dann, wenn wir uns von der zufälligen Vertrauenswürdigkeit einer Person unabhängig machen. Übrig bleibt der eigentliche Schritt, vielleicht die Meisterschaft einer Schule des Vertrauens.

Nämlich dass wir dem Leben selbst in seinen Bewegungen vertrauen.

Letzthin kam ich um eine Waldecke gewandert und erschreckte zwei schwere Hunde. Sie stürzten kläffend auf mich zu. Die Entfernung zwischen uns schwand innert Kürze. Und so tat ich, was mir ein Kenner einst geraten hatte:

Ich bot mich den Tieren dar.

Das heisst, ich ging in die Hocke, zog meinen Sonnenhut, beugte den Kopf nach unten, blickte zu Boden und bewegte mich nicht. Die Hunde kamen heran und fingen an mich zu beschnuppern. Es gibt Hundeflüsterer, Pferdeflüsterer. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Rücksicht nehmen auf die natürliche Bedingtheit des Tieres, auf seine Art.

Was wäre ein Menschenflüstern? Eine heikle Angelegenheit, wenn man in unmittelbarer Übersetzung meint, man müsse die natürliche Bedingtheit von Menschen beachten. Aber vielleicht stimmt das einfach. Und Vertrauen scheint mir ein Schlüssel dafür zu sein. Wer Vertrauen erwerben will, mag stupide Verlässlichkeit garantieren. Das reicht für Geschäfte.

Vertrauen fürs Leben aber gewinnt der, der seine Deckung verlässt. Denn wer sich andern Personen preisgibt, beweist ihnen, dass sie vertrauenswürdig sind.

Vielleicht wäre dies eine Art Menschenflüstern. Aber ich möchte diesen bildhaften Ausdruck nicht überanstrengen. Die wahre Zähmung von Menschen liegt weder in Zuckerbrot noch Peitsche, sondern darin, dass man ihnen gegenüber seinen Schutzraum verlässt, seine Festungen sublimster Art. Und zwar sofort, nicht erst nach Abschätzung günstiger Momente.

Aber der Mut, sich anderen auszuliefern, sich dem zu überlassen, wie das Leben uns schiebt und zieht und in Vorkommnisse wirft, als stellten wir uns nackt mit erhobenen Armen wie ein Mensch Vitruvs in seine Strömungen, dieser Mut, wenn es ihn denn wirklich braucht, steht und fällt mit unserer Bereitschaft zum Tod.

Vertrauen geben heisst sterben lernen.

Das ist die Grundfrage der Angst als Nährboden allen Übels der Welt: Wie kannst du dazu bereit sein?