Letzthin durchstreifte ich die Gemeinde meiner Kindheit wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ich war angenehm schockiert.
Angenehm, weil ich auch nachträglich weder Trauer empfand noch Sehnsucht. Eine innere Heimatlosigkeit, die mich früher lähmte, hat sich für mein Leben längst als Vorteil erwiesen. Auch der Schock hielt sich in Grenzen. Mir war klar, dass die Dinge sich ändern.
Aber nicht so.
Die Bauern waren längst weg und mit ihnen der Hofhund, der seine Jungen im Maul herumtrug, und das Saumzeug für Pferde, das ungenutzt in Schränken hing, und der Holzverhau, in dem der Bulle Kühe besprang.
Ein gesunder Mittelstand überzog die Westflanke dieses Hügels mit Einfamilienhäusern. Gedüngte Rasen, Rododendron an den Hängen, Waschbetonplatten, Forsytnien als Muntermacher im Frühjahr, aber von keinem Vogel besucht, gebeizte Bahnschwellen für Tritte oder niederes Zaunwerk. Gärten, die sich wie Golfplätze ausnahmen, wurden nach einiger Zeit, einer Art kleinbürgerlicher Halbzeit, in Anlagen umgestaltet, in denen wilde, trockene Natur nach Tessiner Art orchestriert war, mit Trockenmauern für Eidechsen und Klatschmohn.
Nun lässt man alles zuwachsen. Büsche überwuchern Grundstücke, Efeuteppiche fliessen über Pflastersteine. Auch die Bachtobel sind verwachsen und modrig, ihre märchenhaften Kieswege, die wir rege nutzten, mit rostigen Gitter versperrt. Zwar ist ökologische Gesinnung zu vermuten, wenn die Natur sich selbst überlassen wird. Die Wälder waren früher zu sauber.
Aber Pflege kostet.
Was bei mir den Eindruck von Verfall bestärkte, waren ein paar Holkloben, die aufgereiht im Gras als Überreste einer Beige verrotteten, deren Seitenstützen noch im Boden staken. Ihre Rinde war von Moos besetzt, das Holz selbst schwarz vor Nässe.
Ruinen der Vorsorge.
Selbst zu Maden gerechtes Heu lag regennass faulend dunkelbraun auf grüner Weide. Das hatte ich noch nie gesehen. Auch wenn mich dieser Anblick nachdenklich stimmte, berührte mich daran eine sonderbare Schönheit: Nach Weltkrieg und Hochkonjunktur, die hitzig waren und umtriebig, mitten in der Industrialisierung und ihren Schüben, die sich zusehends verfeinern, finden Natur und Mensch etwas Zeit zum Nachwachsen.
Zu etwas schläfriger Nachlässigkeit.
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