Seit geraumer Zeit lebe ich in einem Haus jüngster Bauart zur Miete, mit vier Wänden und einem Dach und Rasen mit Einfahrt. Auch die Nachbarn leben so. Aber kaum einer versteht sich auf souveräne Nachbarschaft.

Die Garagentür hebt und senkt sich auf Knopfdruck. Nachts sind die Leuchten mit Sensor rege und andere Nervositäten wie der Marderschreck mit hohem Pfiff. Aber noch blinken keine Kameras. Unter Nachbarn begegnet man sich hier mit viel jugendlicher Freude. Förmlichkeit, wie die Elterngeneration sie pflegt, wird vermieden. Die Lustigkeit kommt von Herzen, keine Frage. Auch der gute Wille füreinander ist zu würdigen.

Aber es ist nicht souverän.

Nachbarschaft, verstanden als Verhalten unter Menschen, die angrenzend wohnen, ist dann souverän, wenn sie vom offenen Eingeständnis ausgeht, dass wir uns eigentlich nicht wählen.

Und wir tun auch nicht so, als täten wir’s.

Diese Haltung, die mir souverän erscheint, lernte ich bei einem Familienvater kennen, der in der Motorradbranche tätig ist. Die Ausgangslage ist klar: Lehrkräfte verachten Angehörige seines Berufsstandes, während es nichts Schlimmeres gibt, als einem Lehrer, der die Dinge wie gewohnt besser weiss, ein Motorrad zu verkaufen. Daraus machten wir keinen Hehl.

Zudem spürte ich bei ihm einen souveränen Respekt, der darüber hinaus ging. Auch mit Andeutungen gab er mir zu verstehen, dass er sich in erster Linie deshalb anständig zu mir und zu Nachbarn überhaupt verhält und nur deshalb Interesse genau im rechten Mass zeigt und nicht zu wenig und nicht zu viel, damit wir zu den Angelegenheiten unseres Lebens, die uns allen aufgebürdet sind, nicht auch noch Ärger mit Nachbarn zu bewältigen haben, die wir nicht wählen.

Und beide wissen darüber Bescheid. Ich weiss, dass er weiss, dass ich weiss und umgekehrt. In dieser verdeckten Offenheit liegt das Souveräne, das ich meine.

Im Übrigen ein vorzüglicher Boden für Freundschaft, falls es denn sein soll.