Selbst im Hochsommer wird die Mainau rege besucht. Die Blumenmeere beglücken im Frühjahr die Massen. Dennoch ist die Mainau eigentlich eine Toteninsel.
Dieser Eindruck liegt nicht einfach an der romantischen Verschränkung von Liebe und Tod. Gewiss wird er durch die Heerscharen alter und kranker Menschen bestärkt, die von Leben und Sonne abgekämpft die Schatten geniessen und die Kühle der Brunnen. Gehstöcke, Rollstühle überall und käsige Gesichter unter Sonnenhüten. Die Adelung der Dinge und ihrer Person ist ihnen eine Art Sterbehilfe. Immerhin, auch Kinder und junge Väter huschen im gepflegten Unterholz herum.
Man könnte an den Ritterorden denken, dem hier gedacht wird. Von ihm sind nur Gruften und Steintafeln übrig und angeblich ein Kreuz aus Bronze auf dem Grund des Sees. Auch das Adelsgeschlecht der Bernadottes trägt zu diesem Eindruck bei: Urerbe des exekutierten Zarismus, der in die Ahnenreihe einzweigte, Verzicht auf die schwedische Krone und, wie vor dem Aufstieg im französischen Empire, erneut ein bürgerlich bestrittener Lebensunterhalt.
Was mich letztlich auf die Einsicht brachte, die Mainau liesse sich als Toteninsel begreifen, war die ungewöhnliche Skulptur zweier Gesichter mit schwülstigen Lippen, die auf dem Boden ruhten oder mit ihm verwachsen schienen. Das Werk neueren Datums trug den Titel: ‘Zusammen im Garten’. Die Köpfe waren, so die Absicht des Künstlers, derart überwuchert, dass ich, angesichts der greisen Paare und im Bewusstsein meines eigenen Alterns an der Seite von Moongirl, den Titel augenblicklich ersetzte in:
‘Zusammen verwesen’. Kurioserweise beglückte mich dieser Gedanke.
Feen und Gnomen wohnen genauso an Teichen mit Silberfischen und poliertem Marmor wie in Sümpfen und Moorlöchern. Die gleiche Natur, aus der wir Rosen treiben, organisiert Zerfall. Sie bringt Pfauen hervor, die das Rad schlagen, sowie Mammutbäume, die wir als Familie umgreifen. Und sie lässt verwesen, was lebt.
Die Anlage der Insel sorgt dafür, dass Gäste in Sammelpunkten hängen bleiben, die wie die Mitte eines Mandalas den Liebreiz der Mainau auf den Punkt bringen, die Ziergärten, die Brunnenarena, der Kräutergarten, das Schloss selbst mit dem Café, wo man unter Palmen angesichts einer Rose zwischen dem Besteck Apfelstrudel mit Eis und Sahne serviert bekommt.
Genauso besetzen die Falter im Schmetterlingshaus die Orangenschnitze und die Mulde mit Zuckerwasser. Und wie sie beinahe regungslos an der Süsse saugen, verlieren sie den sublimen Hauch, den sie flatternd verbreiten. Selbst die blauen Falter, die Adeligen unter ihnen, nippen keineswegs züchtig flüchtig am Nektar, gleichsam mit spitzen Lippen und abgespreiztem Finger, sondern klappen die Flügel zusammen und, nun braun und hässlich wie die anderen, halten sie den Rüssel, leicht zittrig wie alle, im Fruchtfleisch versenkt.
Und pumpen sich voll.
Bevor sie sterben.
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