Selten wird unser Denken auf den Kopf gestellt wird. Oder auf die Füsse.
Wir fahren zu dritt an eine Abendveranstaltung. Ein Freund steuert den Wagen, daneben seine Frau. Die Seitenfenster stehen offen, es weht den Duft getrockneten Grases herein. Das Abendlicht leuchtet. Ich geniesse mein Dasein, auf dem Rücksitz dem Geschehen abgesondert wie ein Kind.
Die Frau erwähnt die Begegnung mit einem gemeinsamen Bekannten, von dem wir alle wissen, dass er kürzlich sein Kind wegen schwerster Depression in Behandlung gab. Sie fragt ihn, wie es ihm geht. Gut, meint der und lächelt sogar. Darüber empört sie sich nun. Sie versteht nicht, wie jemand in dieser Lage ein Lächeln zustande bringt. Auch fühlt sie sich gekränkt, wie sie zugibt, dass der Bekannte ihr gegenüber verschlossen blieb.
Ihr Mann, seines Zeichens Psychoanalytiker, der von gesellschaftsverträglicher Seelenhygiene allerdings herzlich wenig hält, meint lapidar:
«Lass ihn doch. So geht er um damit.»
Im Nu sehe ich mein Menschenbild zurechtgerückt. Auch überkommt mich sofortige Erleichterg im Hinblick auf Verhaltensweisen, die ich an mir selbst schon immer irritierend fand. Die Sache ist rein ökonomisch zu betrachten, frei von jeder Eitelkeit Der Bekannte stimmt Einkünfte und Ausgaben seiner intimen Ressourcen genau auf die jeweilige Situation ab. Er weiss genau, wann seine Trauer durchbricht und Anwesende überfordert oder ungehörig beschämt, auch wann er ausserstande sein würde, einen klaren Gedanken zu fassen. Also sorgt er vor. Anzunehmen wäre auch, zwar wider alle Erwartung, die an Eltern gestellt sind, dass er die Wahrheit gesagt hat. Vielleicht fühlte sie sich erlöst, da ein öffentlicher Blick endlich, endlich sich einmischte.
Als würde ein stickiges Zimmer gelüftet.
Niemand weiss in solchen Momenten, was eine Person wirklich bezweckt, was sie ausblendet und dennoch im Auge behält. Vielleicht kommt sie übereiltem Mitleid zuvor, weil das wenig Nutzen einbringt und sie nur weinerlich stimmt. Menschen ziehen Bilanz, wann immer es ansteht, nicht erst per Ende einer vorweg festgelegten Zeitspanne. Diese intime Ökonomie gilt besonders dann, wenn das Verhalten abwegig erscheint. Je enger der Spielraum, desto absonderlicher das Benehmen. Die intime Rechnung aber bleibt die gleiche. Das wäre eine handliche sowie nützliche Formel. Menschen haushalten ihr Leben kraft ihrer Möglichkeiten, die ihnen gegeben sind.
Dafür haben sie Gründe. Und die erfinden diese Gründe nicht. Sie stossen ihnen zu.
Denn die Welt, so denke ich mit Lust im lauen Fahrtwind, versorgt uns alle mit Gründen.
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