Früher war man einem Idealbild von sich selbst verfallen, das jeder Spiegel geschönt wiedergab. Oder man litt an einem Zerrbild seiner Person, das sich ebenso hartnäckig hielt. Mit der smarten Digital-Filmerei gewinnen wir heute Kontrolle über unser Selbstbild.
Als Kind tauchte ich höchstens in kurzen Auftritten verwackelt und unscharf in einem tonlosen Super-8-Film auf. Der flüchtige Moment entschied über Idealbild oder Karikatur. Beides blieb für lange Zeit unkorrigiert. Vor allem gab es keine Möglichkeit, dass man in geschütztem Rückzug sich selbst studierte. Man hätte die ganze Apparatur aufbauen müssen. Dabei hätte der Film leicht überhitzen und in Flammen aufgehen können.
Auch Fotos hielten oft ungünstige Momente fest. Wenn jemand beschwichtigte, ich sähe durchaus nicht so aus, wusste ich um die Möglichkeit trügerischen Wohlwollens.
Die Kinder meiner Partnerin filmen sich heute, wann immer möglich. Komische Ergebnisse löschen sie, oder sie korrigieren sie mehrmals nach. Sie schneiden Grimassen, filmen sich gegenseitig, proben spontan Rollenspiele, wobei der Auftritt innert weniger Sekunden erfolgt, löschen erneut, verschicken ihre Filmchen, ernten Kommentare.
Idealbild oder Zerrbild lassen sich heute abarbeiten. Wann immer nötig und in aller Ruhe.
Vielleicht droht eine neue Entfremdung, indem man sich auf diese Weise als ein bestimmter Typ in Form bringt. Sei es ein Mangatyp, ein Nerd mit genial-kreativem Einschlag, eine Art Hobbit, ein Raver, ein Normalo, ein Gothic, ein Anarcho, eine Diva mit Geheimnissen, was weiss ich.
Auch früher hat man Typen wie James Dean nachgeahmt, aber Verhalten und Mimik waren an sich selbst nicht so leicht überprüfbar und auch nicht so intim.
Man mag das Verschwinden des Individuellen beklagen. Immerhin übt niemand willkürliche Typen ein, sie wechseln auch nicht nach Belieben. Das Individuelle zeigt sich in der Wahl eines Typen und darin, wie ausführlich und nachhaltig er performt wird.
Eine Art Selbstzüchtung, scheint mir. Auf jeden Fall etwas Souveränes.
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