Der Ort liegt im Schatten von Davos. Trotz Sonne von früh bis spät. Die Endstation des Postautos spricht Klartext: Beton, Maschendraht, das Wartehaus ab Stange gekauft.
Eine Enttäuschung lastet auf allem, wohl seit Jahrzehnten: Keine weltweite Bekanntheit, brach liegende Südhänge, ohne Reben und Villen, die Kurstätte zweitklassig. Wohlhabende Europäer packten hier vor Zeiten ihre Koffer nur dürftig aus. Sobald sie an die Höhe gewöhnt waren, zogen sie nach Davos weiter.
Bloss ein kleiner Zauberberg.
Auch die Gastfreundschaft leidet unter dieser Stimmung. Man weiss um den beschwerlichen Weg zum Geheimtipp. Aber die Bedienung an der Reception hilft im Restaurant aus. Der Gast, der einchecken will, kommt als Störung an. Im menschenleeren Salon flackert ein elektrischer Kamin. Zwei Kollegen wollen fernsehen, die Fernbedienung fehlt, obwohl unabdingbar. Eine Slawin, die hier zu tun hat, aber immer wieder verschwunden ist, weiss nicht Bescheid.
Wünsche der Gäste sind unerwünscht. Oder fehl am Platz. Die Gastfreundschaft unterliegt einer Art Firmenfreundlichkeit. Das bedeutet: Rationalisierung. Billiglöhne, kahle Böden, denn schicke Läufer erfordern Pflege, daher auch kein Schnick-Schnack in den Korridoren, der bei älteren Leuten und besonders bei Kindern beliebt wäre.
Es bedeutet auch: Qualitätssicherung anhand von Checklisten. Die Dame an der Rezeption hat ihre Brüste ländlicherweise hochgequetscht. Man glaubt sich eher in Bayern oder Tirol. Schminke klebt ihr im Gesicht. Mit ihrer Kollegin mault sie über die Geräte wie über störrisches Vieh, das natürlicherweise unbelehrbar ist. Und sie fragt mich, ohne dass sie den Blick vom Bildschirm abwendet, wie es mir gehe.
Ich lüge.
Mit dieser Frage hat sie immerhin einen Posten auf der Checkliste abgehakt. Der lautet wohl: „Sie erkundigen sich mindestens zweimal täglich nach dem Befinden des Kunden.“
Diese Art der Qualistätssicherung hat die gesamte Gesellschaft erfasst: Das Management geht nach Checklisten vor, ebenso der Unterricht und die Pflege. Die Leichtigkeit, solche Listen abzuarbeiten, lässt sich entdecken. Man wird angehalten, selber welche anzufertigen, für sich wie für andere. Wie ich hörte, findet sich im Netz eine Seite, die zehntausende solche Rubriken zur Qualitätssicherung für alles Erdenkliche anbietet.
Vielleicht sollte man eher von Disziplinierung reden. Oder von kalter Kalibrierung zum Wettbewerb.
Orte und Ereignisse, nach Checklisten gestaltet, sind lebensfeindlich, langweilig, uniform, dumm, leer, tot.
Ein anderer globaler Wind hat diesen Ort erfasst. Armer kleiner Zauberberg!
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