Depressive wissen nicht, was sie leiden. Ihnen fehlt notgedrungen ein Vergleichspunkt, der wesentlich wäre. Nicht so Schmitt.

Früher lebte ich einige Zeit auf Schlossgut Girsberg. Allein schon dank der kurzen Begegnung mit Schmitt, anlässlich eines weihnächtlichen Glühweins in einer Welt voller Blattgold und Porzellan, hatte sich der dortige Aufenthalt gelohnt. Mit achtzig Jahren, so Schmitt, habe er einen Neuanfang gestartet. Es sei dringend gewesen.

Ich war begeistert. Falls ich in eine Krise geraten sollte, rief ich aus, würde ich ihn mir zum Vorbild nehmen.

Ein Neuanfang mit 80!

Schmitt lag die Jahre zuvor als ein Fall von schwerster Altersdepression im Pflegeheim. Nun stand er vor mir, die Wangen gerötet und mit einer Jacke aus Wildleder gekleidet.

Der Danziger war als junger Infanterist in der Nähe von Prag in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Es folgten Lagerhaft, Hunger und Krankheit. Irgendwann befanden die Sowjets Schmitt für zu jung, um schuldig zu sein. Sie schickten ihn zurück. In der Schweiz gründete er eine Familie. Und als seine Frau nach Jahrzehnten der Ehe starb, versank er in Depression.

Dann machte Schmitt folgende Aussage: „Depression ist viel, viel schlimmer als Kriegsgefangenschaft.“

Selbst wenn sie Kohle leckten, den Hunger zu dämpfen, trug etwas Sinnvolles sie über alle Widrigkeiten hinweg durch Tag und Nacht: Die Heimkehr.

Was Depressive leiden, ist schlimmer als Kriegsgefangenschaft. Wie Schmitt es beschrieb: Ein Leben, in Watte gehüllt, ohne Sinn.