Im ersten Kanal des Schweizer Radios läuft derzeit Musik, die aus den 80er-Jahren stammt. Damals lief sie im dritten Kanal, dem Jugendsender. Der erste Kanal bedient Eltern und sonst gesetzte Leute, die Pflichten haben und laufend Freizeit opfern. Die Jugend der 80er ist eben in dieses Alter gekommen.

Und in diese Lage.

So geht der Lauf der Dinge: Ehemals wilde Musik verkommt zu einem bürgerlichen Weichspüler. Dabei wurde kein Ton daran geändert. Was ungezügelt war, erscheint auf einmal ordentlich. Das Wilde verblasst mit der Zeit. Es wirkt angepasst.

Der Wiener Walzer, längst ein Inbegriff von Kultiviertheit, galt anfangs als teuflischer Wirbel, der die Leute verdirbt.

Vielleicht gab es vor Zeiten, als man die ersten Ländler lüpfig abtanzte, auch eine betagte Volksschaft, die sich entsetzt davon abwandte.

‚Brav‘ bedeutet angepasst, früher aber wild. Bei mancher Begriffsgeschichte kippt die Bedeutung in ihr Gegenteil. Wer in vormoderner Unsicherheit lebte, war auf wilde Menschen angewiesen, die im richtigen Moment keine Hemmung kannten. Daher waren sie gut und nützlich für alle. Moderner Wohlstand aber ist organisierte Sicherheit: Rechtswesen, Versicherung, Polizeigewalt, Versorgung. Hier sind Wilde anstössig, Angepasste aber gut und nützlich.

Genauer gesagt befolgen heutige Brave bestehende Grenzen, während die ehemals Braven, die Ungestümen ohne Furcht, Grenzen brachen.

Das wäre Evolution in Reinform: Die Umwelt verändert sich, der Typ verliert seine Tauglichkeit oder gewinnt sie. Früher oder später werden wir auf dem braven ersten Kanal des Schweizer Radios wohl Techno zu hören bekommen.

Oder Death Metal.