Wenn jemand sich anstössig verhält, heisst es gerne, das liege an seiner Kindheit. Eine Haltung, die meine Eltern wiederum anstössig finden. Ihre Generation sieht es als Pflicht an, dass man die Dinge, die vergangen sind, wirklich vergangen sein lässt. Sie fordern Biss und Durchhaltevermögen. Genau das war ihnen damals abverlangt worden.

Erst in meiner Jugend wurden psychologische Kenntnisse volkstümlich. Da gibt es die drei Frühphasen: Saugen, Kacken und nach der Mutter oder dem Vater schielen. Dann die Formen der Abwehr: Verdrängung, Projektion, Übertragung, Rationalisierung. Dazu soziales Lernen: Aktives Zuhören, mehrschichtige Kommunikation, Transaktionsanalyse.

Die Einstellung, die Kindheit könnte durchwegs eine Rolle spielen, verhilft zu mancher Klarheit, auch wenn man nie sicher sein kann, ob die Sachlage wirklich so zutrifft. Umgekehrt dreht man sich gerne im Kreis und hört nicht auf, darüber zu reden.

Aber es kommt immer wieder vor, dass ich mich in meine Kindheit zurückgeworfen fühle. Dieser Zustand hat etwas Totales an sich, das trübsinnig stimmt, jedoch nimmt er mit den Jahren an Dauer und Dramatik ab.

Deshalb gefällt mir das Bild, die Lebensalter formten Jahresringe, die zunehmend verholzen, wobei die Kindheit eine Art Rinde bildet. Diese Schichten verschwinden nicht, aber sie dünnen aus.

Und wenn eine alte Katze auf meiner Brust hockt und den Milchtritt vollführt, während ich sie kraule, geniesse ich die schöne Natürlichkeit davon, dass die Kindheit wie jedes Alter ungebrochen lebendig bleibt.