Wir warteten auf den Abflug. Neben mir sass Nico, mein Blog-Administrator, der die Aktualitäten in seinen Netzwerken däumlings durchforstete. Kaum eine Sekunde verblieb er auf den einzelnen Posten. Veranlasst durch das eine oder andere Stichwort rief er Neuigkeiten ab.

Dieser flatternde Daumen! Diese Blitzesschnelle! Diese Vernetzung von beliebiger und unbegrenzter Information! Eigentlich ein Graus für Geisteswissenschaftler wie mich.

Michel Foucault hatte Recht: Es gibt keine Tiefen mehr. Nur Oberflächen. Die Inhalte erodieren.

Als Lehrkraft müsste ich zu Warnrufen anheben: Mehrseitige Aufsätze sind kaum mehr zu leisten. Eine entsprechende Rhetorik, die grosse Bögen nimmt, ist unverständlich geworden. Loriot’s Sketche dauern zu lange. Es fehlt der Sinn dafür, dass ein Thema variiert und zugleich gesteigert wird. Abendfüllende Theaterstücke wirken befremdlich, ebenso die mehrschichtige Deutung einer romantischen Novelle von über hundert Seiten.

Schlagwörter, Rubriken, Statistiken, Filmchen, Blogs, Listen: Die Oberflächen sind flink vernetztbare Kurzeinträge, beinahe schon Meme.

Die Geisteswissenschaft forscht nach dauerhaften Wahrheiten. Das braucht Zeit. Konzentration auf das Wesentliche steht zu Gebot. Aber was soll das Wesentliche sein? Wer will das entscheiden?

Und für wen?

Nun geht es um eine Art Puzzle-Intelligenz, die flüchtige Sinngebilde flink zusammensucht. Auf Klick verbinden sich Weltbereiche, die man früher methodisch strikt voneinander getrennt hielt.

Ich beschwere mich nicht darüber. Das Leben liess uns die vergangenen Jahrhunderte nach ewigen Wahrheiten hungern.

Nun will es diese Puzzle-Intelligenz.

Man mag es Evolution nennen. Diese Lesart ist möglich und friedfertig. Anders als das Moralin, das verbitterte Geisteswissenschaftler gerne versprühen.