In Berlin ist alles halb so schlimm, sagt man. Das ist in der Tat spürbar. Auch wenn der Freak-Tourismus Überhand nimmt und die Gentrifizierung Druck macht, lässt man sich zu Selbsterfahrungen hinreissen, die sich andernorts gar nicht erst melden. Im Rückblick regt sich auch kein Schamgefühl. Wozu denn, wenn alles halb so schlimm ist.
Und eine halbe Scham wäre gar keine.
Ein Kollege und ich suchten vorsätzlich den Rausch und fanden ihn nach sieben wässrigen Long-Island-Ice-Teas. Unterwegs kamen wir an einem Fahrrad vorbei, das rostig und lächerlich an einem bleischweren Schloss hing, das eine Rad gefaltet, das andere geklaut wie auch Sattel und Kette.
Wir waren im Begriff, ein Gespräch zu führen, das trotz der Schieflage argumentativ war. Beim Fahrrad stoppten wir, hielten kurz inne. Und ohne uns abzusprechen, sogar ohne uns umzusehen, packten wir beide aus und pinkelten über den maroden Haufen Metall.
Noch im Dampf, der aufstieg, als jene Wässrigkeit unsere Körper verliess, war mir klar, dass ich noch nie einen Augenblick von solch wortloser, urtümlicher Übereinstimmung erlebt hatte.
Die Aktion verstand sich von selbst. Das ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Psychoanalytisch betrachtet liegt die Sache klar: Zwei Erniedrigte erniedrigen etwas, das schon erniedrigt ist. Diese Erklärung jedoch läuft meiner Selbstachtung zuwider.
Und der Impuls kam von tiefer.
Als würden wir Unrat beseitigen helfen, wie Ameisen es tun, wenn sie Säure verspritzen. Kultur entsteht so natürlich keine. Vielleicht hatten schon andere vor uns diesen Trieb ausgelebt.
Immerhin war das Rad von Rost besetzt.
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