Seit Langem wird vor dem Suchtpotential Sozialer Netzwerke gewarnt. Eine solche Heuchelei habe ich noch selten gehört. Der Vorwurf müsste anders lauten.

Dabei ist die Lage ernst, wie versichert wird. Heranwachsende sind besonders gefährdet, denn ihr unreifes Gehirn giert förmlich nach Belohnungen, die auf Klick zu haben sind. Ausserdem steht fest: Die Begegnungen sind virtuell, also künstlich, die Spielwelten in fahrlässiger Art versimpelt.

All dies bestreite ich nicht. Aber ich sehe keine bedeutsamen Unterschiede zur angeblichen Realität. Unsere Gesellschaft gelingt nur dank fetter Belohnung. Mehr Leistung, mehr Lohn. Sicher aber: Mehr Verantwortung, mehr Lohn. Die streitbaren Boni entgelten nur vordergrpndig besondere Tüchtigkeit. Ihre Funktion liegt darin, dass sie Arbeitskräfte aus tieferen Etagen hoch locken. Deren Sucht nach weiteren Erfolgen erhält das System am Leben.

Sucht ist ein Mittel zum Zweck auch in zivilisierter Wohlstandsgesellschaft westlicher Prägung. Entlöhnung ist das Eine. Überdies sind manche wie versessen auf persönliche Einflussnahme. Sie suhlen sich in Pflichträuschen, wie von therapeutischer Seite verlautet wird.

Wir gemahnen Jugendliche an Pflichten wie Bildung und Beruf. Ehrlicherweise müssten wir sie auffordern, sie sollten auch da Süchte entwickeln. Denn darin liegt der wahre Gegensatz zwischen Realität und Virtualität: Die Sucht, die uns in Netzwerke und Spielwelten treibt, befriedigt bloss den einzelnen Zocker. Das gilt auch für Drogenkonsumenten.

Zivilisierte Süchte wie die Gier nach Erfolg und Einfluss aber kommen früher oder später allen zugute. Darum haben wir nichts gegen sie einzuwenden.

Trotzdem sind es Süchte.