So genannte Intellektuelle verachten Autorennen. Das ist zu bedauern. Denn wider Erwarten zeigt sich dort ein zivilisatorisches Minimum in Reinform. Zum Beispiel Triebaufschub. Laut Freud verdanken wir Kultur dieser Hemmung. Das kommt nicht nur in der Kirche vor oder bei Banketten, sondern auch am Start. Die Fahrer beachten ihre Position im Feld, sie passieren zwei Fahnen wie eine Schleuse, eine gelbe und dann die Schweizer Fahne. Erst dann treten sie das Pedal durch. Aber wie sie es tun. Der lang vorbereitete, lang zurückgehaltene Moment wird voll ausgekostet, die Motoren schreien auf, die Wagen schlingern wie auf Eis.

Jeder Fahrer weiss genau, wie sein Motor tönt. Eine Art Intimität vielleicht. Auch ein Motor verkörpert ein zivilisatorisches Minimum im Sinne von gerichteter Energie. In Steckborn werden nicht nur Öfen um Feuer gebaut oder Brunnen um Quellen, die ihr Wasser fassen, sondern auch Zylinder um Explosionen. Besonders bissig kreischen die Formel 2 Buliden als hochgezüchtete Fahrgeschosse. Motor und Maschinengewehr sind eng miteinander verwandt. Auch beim Gewehr legt sich Gusseisen um Explosionen, und die Schwachstelle gibt der Kugel die Richtung. Private Paula in Stanley Kubrick’s Full Metal Jacket erzählt vom zivilisatorischen Minimum des Soldaten, der durch Demütigung scharf gemacht wird, damit er nach vorn abgeht wie ein Geschoss, allerdings zu früh, wie es auch am Start in Steckborn hätte passieren können.

Dann die Gestik der Kadetten, ihre einfache Sprache mit Doppelfinger als zivilisatorisches Minimum: Halt! Los! Hier lang! Auch Buddhas geben solche Zeichen von sich, ebenso Heiligenfiguren.

Über Lautsprecher werden die Fahrer gerühmt. Darin zeigt sich eine urtümliche Weisheit, eine Art zivilisatorisches Geschick, das mancher Intellektuelle nicht beherrscht: Man muss die Leute würdigen, statt als primitiv zu brandmarken. Denn nur wer Würde erfährt, übernimmt Verantwortung und rast nicht drauflos. Das ist gemeint, wenn jemand betont, Adel verpflichte. Wenn Jugendliche, Kinder oder Randständige Verantwortung verweigern, tun sie das aus Mangel an Würdigung.