Es ist doch erstaunlich, wie die gesellschaftlichen Abläufe glattgehen. Mehrere Jahre lang genoss ich den Blick auf eine belebte Kreuzung mit Ampeln. Täglich boten sich mir Millionen von Chancen des Misslingens.
Nichts geschah, kein Unfall, kein Konflikt, kein technischer Ausfall. Woran liegt dieser Systemerfolg? Die einen nehmen es genau, andere grosszügig. Liegt es an der Genauigkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, also Funktionstüchtigkeit überhaupt, dass die Gesellschaft glattgeht? Das würde man annehmen. Oder verdankt sich dieser Erfolg eher der Grosszügigkeit, die wir je nach Situation gewähren?

Was öffentlich abgeht, lässt sich klar messen. Dort steht Genauigkeit zu Gebot. Gerade Kaufleute, aber auch Politiker, die Öffentlichkeit mit Vertrauen verbinden – eine besonders delikate Geschichte, wie man weiss – achten sicherheitshalber darauf, dass sie in ihrer Haltung überhaupt genau sind, also auch in Bereichen, die der Öffentlichkeit entzogen sind, in der Familie, beim Sport, während einer Autofahrt. Ein Schiedsrichter, der in volksnahen Kategorien amtet, erklärte mir, er könne sich keine Trunkenheit leisten, das könnte ihm bei Konflikten auf dem Spielfeld zum Vorwurf gereichen.

Die gesellschaftlichen Abläufe gelingen ebenso hinter den Kulissen. Auch dort greifen Rädchen ineinander, die unsichtbar bleiben. Ihr Erfolg ist höchstens in soziologischer Unschärfe ermittelt. Die Vermutung liegt nahe, dass in diesen Bereichen Genauigkeit hinderlich wirkt. Vielleicht garantieren Grosszügigkeit, Nachsicht, strategisches Missachten und Vergessen, insgesamt also zwischenmenschliche Schlamperei erst die Passgenauigkeit, die die Gesellschaft so reibungslos am Leben erhält. Aber das lässt sich nur erahnen.