Eine Generation zeigt selten Verständnis für die Altersgruppen, in die sie zeitlich gefügt steckt wie ein Verzehrgut zwischen zwei Sandwichbroten. Über diesen Missstand lässt sich leicht den Kopf zerbrechen, er hält sich hartnäckig. Seit je. Dieses Unverständnis unter Generationen mag uns Einzelne entmutigen, das Leben selbst scheint es zu wollen.

Generationen teilen untereinander bestimmte Überzeugungen. Dabei verfällt wohl jede dem Eigendünkel, sie stelle mit ihren Ansichten die gesellschaftlichen Verhältnisse endlich und endgültig richtig. Diese Arroganz haftet jeder Generation derart hartnäckig an, dass man ihr eine gewisse Natürlichkeit zusprechen muss. Im Alter macht sich dann Ernüchterung breit. Denn die Kindergeneration setzt ihre eigenen Vorstellungen durch. Nun ist meine Generation an der Reihe. Nun sind wir es, die allmählich in den kritischen Brennpunkt ihrer Kinder geraten, die unaufhaltsam heranwachsen. Genau wie damals, als wir die Ansichten unserer Eltern unter die Lupe nahmen. Wenn wir nun bedauern, dass unsere Werte unter der gegenwärtigen Jugend wenig Anklang finden, vergessen wir sehr leicht unsere bissige Kritik von damals.

Dieser Eigendünkel wird früher oder später in jedem Fall abgestraft. Das hat seine Richtigkeit. Denn eigentlich bedeutet er eine Art Chauvinismus, wie er praktisch jedes menschliche Gemeinwesen kennzeichnet. Jede Religion findet sich einer anderen überhoben. Einzelne Familien urteilen abfällig über andere. Unter Städten oder Gegenden spielt die gleiche idiotische Überheblichkeit, die unter Sportvereinen sogar zum Kult erhoben wird. Auch Wissenschaftler pflegen eben diese Blasiertheit, was dort schwer nachzuvollziehen ist. Ganze Fachbereiche ziehen übereinander her. Die unsinnige Polemik zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft geniesst traurige Berühmtheit. Selbst indigene Stämme fühlen sich anderen überhoben. Während sie die Edlen sind, stammeln fremde Völker nur Kauderwelsch [p 18-19]. Dabei wird dieser natürliche Chauvinismus auf den Punkt gebracht:

Die Leute reden unbeholfen, dabei sind wir schlicht zu beschränkt, sie zu verstehen.

Kritik an der Elterngeneration fällt leicht. Heranwachsende haben genügend Zeit, ihre Erzieher zu studieren. Ihre Unmündigkeit zwingt sie beinah in die Rolle von Beobachtern. Zum Glück haben wir Erwachsenen keinen alltäglichen Begriff davon, wie entblösst wir ihnen gegenüber sind. Kritik üben heisst in diesem Fall, dass man die Fehler vermeidet, die wir Eltern sie erleiden liessen. Unbeholfen, wie wir Erwachsene sind. Als Erzeuger von durchschnittlich eineinhalb Kindern bleiben wir stets Anfänger.

Die Fehler anderer vermeiden bedeutet, dass man neue begeht, die vorweg unmöglich absehbar sind.

Daher muss man diese Kritik als Blindheit begreifen. Das stimmt umso denkwürdiger, als eine Generation gerne den Anspruch erhebt, mit ihren Werten eine ganze Gesellschaft erlösen zu können. Die Tragik liegt darin, dass jede Generation eher später als früher unweigerlich Verantwortung übernimmt, wenn sie in Ämtern und auf den Märkten altersbedingt nachrückt. Man muss es als eine Art Unschuld begreifen, wenn jemand sein Mandat nach den Überzeugungen bestreitet, die für ihn und seine Generation unverzichtbar geworden sind.

Unter Gleichalterigen fällt mir zum Beispiel auf, dass viele ihren Wohnbereich nach dem Geschmack unserer Grosseltern einrichten. Das gilt auch für öffentliche Einrichtungen wie Hotels oder Pensionen, die Angehörige meines Alters betreiben. Wir sind die Schlaumeier, die die Möbel unserer Grosseltern aus dem Brockenhaus holen, wo sie von unseren Eltern entsorgt worden sind. Schäbbyschick nennt sich die kommerzielle Variante dieser Modeströmung. Was für uns Bekenntnis ist, findet seinen Markt. Wir mögen uns sehr besonnen vorkommen, wenn wir alte Häuser bewohnen und im Spätherbst Vorfenster einsetzen und sie im Frühjahr wieder aushängen. Wir sind die ökologisch guten Menschen, die die Eigenart ihrer Eltern vermeiden, nach jedem technischen Wohnschnickschnack der Nachkriegszeit zu greifen: Mikrowelle, Dreifachverglasung, Bodenheizung, Sprudelbad, Wintergarten. Mein Vater gehörte zu den Häuschenbauern, die damit anfingen, Äcker und Obstgärten auf der Westflanke des Ottenbergs mit Einfamilienhäusern zu verstellen. Wie jede Generation, so hatten auch unsere Eltern dazu Gründe, die man nicht so leicht von der Hand weist: Meine Eltern hatten genug von engen Räumen, die ringhörig waren, sodass jeder Anfall von Keuchhusten durch das Haus schallte, und die zugig waren infolge verzogener Vorfenster. Es reichte ihnen, eine halbvergammelte Butter aus dem Mauerloch zu klauben, in dem es zur Kühlung lagerte. So verstand es sich wie von selbst, dass sie sich nicht nur Kühlschränke mit Gefrierfach, sondern auch Kühltruhen sowie Kühlaggregate im Picknickkorb anschafften. Das Wirtschaftswunder, angereizt durch ein gigantisches US-Sponsoring, machte sie zu den Häuschenbauern, die wir von Herzen verabscheuen. Gewiss nicht alle in meiner Generation. An dieser Stelle lohnt sich einmal mehr der Hinweis, dass meine Behauptungen bloss Tendenzen herausgreifen. Unsere Eltern waren froh, die muffigen Sofas gegen Lederkombinationen eintauschen zu können. Betondecken, belegt mit Spannteppichen, ersetzten ewig knarrende Holzböden. Eine saubere Zentralheizung ersparte das endlose Hacken und Schichten von Holzscheiten. Auch erübrigte sich die russige Angelegenheit der Kohleschauflerei. Es ist ein Leichtes für uns, die wir zwischen Radiator und Dimmleuchter aufgewachsen sind, wenn wir heute den Verbrauch fossiler Brennstoffe als rückständiges Verhalten anprangern. Auch ist uns die eheliche Treue ein Dorn im Auge, wenn sie zu Dauerstreit unter Ehepaaren führt. Meiner Generation reicht es, mitzuerleben, wie betagte Eheleute infolge Dauerverzichts ein gegenseitiges Beziehungsmassaker anrichten. Aber auch darin sind wir bevorteilt. Denn Scheidung hatte bis in die frühen 80er-Jahre soziale Ächtung zur Folge. Die Streichung des Schuldspruchs im Gesetz löste eine ganze Lawine von Scheidungen aus. Meine Generation hält daher viel von so genannt offenen Beziehungen, wenn auch eher in seltenen Fällen. Dafür plaudern wir gerne von Lebensabschnittspartnerschaften. Auch die traditionelle Rollenverteilung lehnen wir ab, es reicht für uns an entnervten Müttern in Waschküche und am Herd sowie an überlasteten Vätern, die abends ihre Ruhe verlangen.

Nun also zu meiner Generation im Lichte ihrer Kinder: Welche Überzeugung wir auch immer pflegen, wie immer wir die Gesellschaft planmässig verbessern, wir erzeugen dadurch blinde Flecke, die unsere Kinder erleiden. Was meine Generation anbetrifft, von der es früher hiess, wir trügen absichtslose Frisuren, auch hätten wir Freitagstaschen umgehängt, so dürften unsere Kinder über uns gewiss klagen, wir lavierten zwischen einer bürgerlichen Lebensform mit Treuebund und offenen Beziehungen, was in seltenen Fällen zutrifft, eher aber mit Lebensabschnittspartnerschaften oder einer Art kommunardischen Lebensweise, wo man in mancher Hinsicht unverbindlich bleibt. Dieses Lavieren muss unseren Kindern als Schwäche erscheinen. Wir mögen noch so sehr betonen, dieses unser Verhalten sei Programm, sie nehmen es uns nur bedingt ab, zumal wir meistens doch eher damit liebäugeln wie mit einem Modetrend. Immerhin verhalten wir uns kameradschaftlich zu unseren Heranwachsenden, scheinbar auf Augenhöhe. Der Alltag jedoch stellt Ansprüche, die je nach Situation dazu führen, dass wir überstürzt eingriffig nacherziehen. Das wirkt dann sehr verletzend, da die Kameradschaft einseitig aufgekündigt wird. Unerwartet verändert sich der Umgangston. Wo man sonst argumentierte, debattierte, um Verständnis buhlte, ertönt auf einmal ein blosser Befehl. Es versteht sich von selbst, dass die Heranwachsenden diese einseitig vollzogene Umstellung nicht einfach so hinnehmen. Ein weiteres Beispiel: Wir lassen unsere Jugendlichen meistens gewähren, lassen sie ihre Wege gehen in der Überzeugung, wir garantierten ihnen so Freiheit zur Selbstentfaltung. Interessanterweise verdanken sie das nicht. Es scheint so, als böten wir ihnen Lösungen für Probleme, mit denen in erster Linie wir selbst zu tun hatten. Nebenbei verbirgt unsere Grosszügigkeit einen rohen Kuhhandel, den wir wiederum einseitig abschliessen. Denn wir gehören zu den ersten Generationen, für die Freizeit und Selbstentfaltung zu unantastbaren Werten geworden sind, ohne dass wir sie durchwegs über familiäre oder gesellschaftliche Gemeinschaftserfahrungen stellten, wie es bei jüngeren Generationen anzunehmen naheliegend erscheint. Das heisst, wir gewähren unseren Kindern Freiraum zur Selbstentfaltung, damit sie uns den gleichen Vorteil zugestehen.

Wir müssen damit rechnen, dass sie dies als Distanznahme verkennen. Dadurch fühlen sie sich im Stich gelassen.

Auch würde es mich nicht wundern, wenn es von unseren Kindern hiesse, wir Eltern redeten andauernd über das Leben, statt es wirklich zu leben. Wir vermeiden die Verschwiegenheit unserer Eltern in delikaten Belangen, reden also über alles und verbergen nichts.

Ungeachtet der Wahrscheinlichkeit, dass diese Offenheit die Heranwachsenden überfordert.

Reflektierte Selbsterfahrung steht bei uns hoch im Kurs. Alles Mögliche, was uns zustösst, finden wir «spannend», als lebten wir aus der Loge heraus oder direkt ab Liegestuhl. Auch ist die Redewendung uns sehr beliebt, wonach wir erleben möchten, was eine Situation «mit uns macht», in die wir zufällig oder willentlich geraten. Das Anliegen dahinter ist mit Händen zu greifen: Wir lehnen Vorurteile ab, wie sie unsere Eltern umtrieben, wir halten uns bewusst offen, wollen nichts aus dem Sitzen heraus oder zwischen Tür und Angel aburteilen. Eine fruchtbare Offenheit für uns. Für unsere Kinder aber eine Unverbindlichkeit, die für sie schwer zu durchschauen, schwer vorweg zu berechnen ist. Auf einmal hat ein Elternteil das Gefühl, sie oder er müsse jetzt dringend ein halbes Jahr verreisen oder sofort den Wohnort wechseln oder den Beruf, was alles folgenreich für die Familie ist. Und die Gründe haben dann sehr oft mit Selbstfindung zu tun oder mit sonstigen Belangen persönlicher Identität.

Da versteht es sich von selbst, wenn die Kinder die Selbstfindung ihrer Eltern als Egoismus begreifen.

Jede Generation spiegelt die andere. Es ist immer die Kindergeneration, die ihre Eltern genau studiert und dann ein Programm befolgt, das sie unter verkehrtem Vorzeichen dem Verhalten und den Werten ihrer Erzeuger ablesen. Es würde mich nicht wundern, wenn unsere Kinder wieder Verlobungsringe tauschten und erneut die Einfamilienhäuser mit Minergie, offener Küche, mit Wohnwand und gepflegtem Vorgarten in Besitz nehmen, aus denen wir geflohen sind. Die Sandwichposition zeichnet keine bestimmte Generation aus. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Erfahrung, die Generationen typischerweise tun, sobald ihre Kinder anfangen, Kritik zu üben:

Du bekommst es erneut mit den Werten zu tun, die du überwunden hast. Oder bei denen du geglaubt hast, sie überwunden zu haben. Dabei gilt: Jede Problemlösung bringt bei ihrer Durchsetzung neue Probleme hervor, die vorweg unmöglich absehbar sind. So bleiben die Generationen unter sich.

Nicht umsonst heisst es, die wirksamsten Erzieher seien die jeweils Gleichalterigen.

Das ist ein dialektischer Umschlag, der die gesamte Geschichte durchzieht. Wir mögen unsere Werte für gescheitert erachten, wenn wir sehen, wie die Kinder sich darüber hinwegsetzen.

Es besteht die Gewissheit, dass sie wiederkehren.

Und dann erneut abgelöst werden.

Der naive Chauvinismus einer Generation, sie würde mit ihrem Programm, das immer einseitig ist, die Verhältnisse für alle endgültig richtigstellen, scheint dem Leben zu entsprechen. Durch diesen konfliktreichen Wechsel pflegt es auf seinem Weg die unterschiedlichsten Typen von Lebensform: Es braucht Buchhalter genauso wie Träumer, Rebellen genauso wie gesittete Bürger, harte Arbeiter genauso wie feinfühliger Künstler.

Das Leben braucht diese Vielfalt, damit es die undenkbarsten Veränderungen seiner Umwelten besteht, die ihrerseits schwer abzusehen sind.